Camino Nordfrankreich (Tag 06)

 

Kaysersberg → Gueberschwihr


 → 27 Kilometer
↑ 339 Meter

Donnerstag, der 19.07.2012

 

Kaysersberg
Kaysersberg

„Suchen sie sich einen Tisch aus und nehmen Sie sich, was sie wollen.” begrüßt mich die Frau, die sich da im Frühstücksraum des Hotels um die Gäste kümmert. Sie ist zwar die selbe, die sich auch gestern meiner angenommen hat, aber leider nicht die, die mir das nette Frühstücksangebot machte. Von daher weise ich sie auf den speziellen Dial mit den belegten Broten hin. Daraufhin nickt sie nur wissend und versichert mir, dass das schon ok sei. Ich könne mich frei bedienen. Ich bin begeistert und setzte mich an einen der Tische am Fenster. Um mich herum lauter “normale” Hotelgäste. Kurz darauf wird mir Kaffee serviert und ich bediene mich am Buffet.
Erst um 9:40 Uhr verlasse ich das Hotel und steuere als nächstes direkt die mir bereits bekannte Touri-Info an. In meinem Wanderführer steht, dass man bei dem Kloster, in dem ich gern kommende Nacht unterkommen würde, reservieren sollte. Und so bitte ich die sehr hilfsbereite Mitarbeiterin des Offices, mir dies abzunehmen. Als sie den Telefonhörer wieder auflegt, teilt sie mir mit, dass bis Samstag nichts mehr frei sei. Aber da ich mich ja hier in einem elsässischen Office de Tourisme befinde, ist dies eher der Startschuss für eine Recherche-Odyssee, als dass man mit einem entschuldigenden Schulterzucken entlassen wird. Und so greift sie erneut zum Hörer und holt sich offenbar weitere Infos, die sie direkt zum nächsten Telefonat führen. Auch hier bekommt sie anscheinend nur eine Telefonnummer, die sogleich wieder eingetippt wird. Erst, als das Gespräch beendet ist, wendet sie sich wieder mir zu und verkündet, dass sie eine private Unterkunft gefunden habe. Diese liegt allerdings 2, 3 Km abseits des Caminos. Der Preis: 35,- € exkl. Frühstück. Das wiederum wird für gerade mal 2,- € serviert. Ok. Nicht gerade ein Schnäppchen, aber es sorgt für einen stressfreien Wandertag!
Also bedanke ich mich herzlich und verlasse das Büro wieder, um mich dann doch mal langsam auf den Weg zu machen.

Niedermorschwihr
Niedermorschwihr

Das Wetter scheint dem Wetterbericht ein wenig trotzen zu wollen: Der Himmel ist ziemlich wolkenverhangen. Dann muss ich mich wenigstens nicht um irgendwelche Schatten-Konstruktionen kümmern.
Die Strecke ist von etlichen Steigungen geprägt. Allerdings verabreiche ich mir davon unfreiwillig mehr, als es nötig wäre. Als ich nämlich nach langer Zeit mal wieder einen Blick auf meinen Navi werfe, sehe ich, dass ich mich deutlich abseits des Caminos befinde! Dieser führt parallel zu diesem Gebirgszug durch die Ebene und einige Ortschaften. Mist!
Dann sehe ich mal zu, wie ich wieder auf den Pfad zurückkomme – möglichst ohne umdrehen zu müssen!
Irgendwann stoße ich in Ammershwihr wieder auf den Camino. Selbst bei diesem Wetter ist die Landschaft hier äußerst fotogen!

Turckheim
Turckheim

Als ich dann in Turckheim eintreffe, ist mal wieder eine Pause angesagt. Die freundliche Bedienung und das Ambiente dieses Ortes sind zwar sehr gute Argumente hier heute Station zu machen, aber meine Unterkunft ist noch einige Kilometer entfernt.
Der Weg durch den Wald hinter Turckheim nimmt eine immer surrealere Optik an. Er führt über teilweise recht steile Auf und Abs. Die sehr dicht stehenden Bäume lassen nur noch sehr wenig Licht durch. Aber vor allem gibt es hier so gut wie keine Farben mehr.
Um nach Gueberschwihr zu kommen, verlasse ich im nächsten Ort den Camino.
Vor mir tauchen die ersten Häuser meines Etappenziels auf und ich hole den Zettel aus meiner Tasche, auf dem mir die Dame aus der Touri-Info die Anschrift notiert hat – in ihrer schönsten Schrift, wie sie mir versprach. Das ändert allerdings nichts daran, dass ich jetzt nur “Rue de” entziffern kann. Und so fangen hier fast alle Straßen an. Das dritte Wort sieht ein wenig aus wie “Nord”.
Direkt vor dem zentralen Platz von Gueberschwihr stehen diverse Hinweisschilder. Eines davon weist die Richtung zum Weinhandel Ganzer. Und Ganzer heißen auch meine heutigen Gastgeber. Der Pfeil weist zurück in die Straße, über die ich gerade in den Ort herein gekommen bin. Der Name: Rue de Nord. Bingo!
Nur wenige Häuser weiter komme ich an ein Haus mit großem Tor. Daneben die eisernen Schriftzüge “VINS D’ALSACE – Lucien GANZER”. Ich öffne die Tür und betrete einen Innenhof. In dem Augenblick kommt mir auch schon eine ältere Dame entgegen. Sie nimmt mich in Empfang und führt mich durch eine Wohnung zu gleich zwei Schlafräumen, unter denen ich mir einen aussuchen kann. Sie und auch ihr Mann sprechen offenbar gebürtig Deutsch – wenn auch mit Dialekt.
Nachdem ich mich frisch gemacht habe, gehe ich zu den beiden in die Küche, wo sie am Tisch sitzen. Während er fernsieht, ist sie dabei zu puzzeln. Da hier kein Abendessen mehr vorgesehen ist, frage ich nach einer Möglichkeit, hier im Ort noch etwas zu bekommen. Sie beschreiben mir gleich zwei Restaurants. Bevor ich mich auf den Weg mache, unterhalten wir uns noch kurz. Unter anderem erzählen sie mir von einem befreundeten Paar, das ebenfalls diesen Weg machen wollte. Doch dann starb er nur wenige Tage vor dem Start an einem Herzinfarkt. Und dann soll sie am Tage seiner Beerdigung direkt vom Friedhof aufgebrochen sein, um den Camino zu laufen.
Es dauert nicht lange, da weist mir die Bedienung eines sehr gemütlichen und überraschend gut besuchten Lokals (→ SV) einen kleinen Tisch zu. Direkt neben mir sitzt ein Paar mittleren Alters. Sie sind offenbar Deutsche. Und als sie meinen Wanderführer entdecken, den ich immer als Zeitvertreib und Vorbereitung vor mir habe, wenn ich irgendwo einkehre, sprechen sie mich darauf an, und wir stecken von da an den ganzen Abend in einem angeregten Gespräch bei sehr gutem Essen.
Am Ende bieten sie mir noch an, mich zu meiner Pension zu fahren, aber das ist natürlich nicht nötig.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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