Thann → Bellemagny
→ 25 Kilometer
↑ 136 Meter
Sonntag, der 22.07.2012
Komfortwärme ist etwas anderes! Ich friere zwar nicht, aber an den Stellen, an denen der Schlafsackes eng anliegt, ist es zumindest etwas kühl. Das wird wohl auch der Grund sein, warum ich mitten in der Nacht wach werde und nicht wieder einschlafe. Was habe ich denn da noch so an Klamotten griffbereit? Mein Regenponcho! Ich probiere es mal.
Als ich das nächste Mal wach werde, ist die Sonne der Grund dafür.
Es ist so gegen 7:00 Uhr, als ich mich bei einer immer noch einstelligen Temperatur aus meinem Schlafsack schäle. Ich fühle mich fit, und auch meine Knochen scheinen nicht unter dem harten Untergrund gelitten zu haben. Gut gelaunt putze ich meine Zähne auf der Veranda und packe danach meine Sachen, um mich wieder ins Zentrum von Thann zu begeben. Dort gibt es auf einer Parkbank als Frühstück die zweite Hälfte vom ersten der beiden Baguettes von gestern morgen. Kein Caminofrühstück ohne Kaffee! Also suche ich mir direkt danach noch ein nettes Café. Hier gibt es außer dem Wachmacher für mich auch Energie für meinen digitalen Begleiter.
Außerdem nutze ich die Zeit, um mal ein wenig in die Zukunft zu blicken, indem ich etwas in meinem Wanderführer blättere. Darin erfahre ich, dass die Infrastruktur in der vor mir liegenden Region noch um einiges schwächer sein soll. Vor allem offizielle Herbergen gibt es da erst mal gar keine mehr. Dafür haben sich laut Buch einige Privatleute organisiert und nehmen Pilger in ihren Wohnungen auf. Allerdings sollte man sich hierfür möglichst 5-7 Tage vorher anmelden!
Ich weiß doch noch nicht mal, wo ich heute ende – geschweige denn in einer Woche! Mal ganz abgesehen davon, dass ich auch über keinerlei Kontaktdaten verfüge.
Auch die Einkaufsmöglichkeiten sollen nicht nur noch spartanischer werden, es kann auch vorkommen, dass die einzige Bäckerei eines Ortes gerade in der Sommerpause ist!
Na, das kann ja was werden!
Nach dem Frühstück geht‘s noch mal ins Touri-Office, da die Damen ja noch mal für mich im Kloster anrufen wollten, nachdem sie gestern niemanden erreicht hatten.
Ich werde direkt gefragt, ob ich noch etwas zum Schlafen gefunden hätte. Ich erzähle ihr kurz von meinem “Hotel”, und dann macht sie sich erneut daran, das Kloster anzurufen. Leider wieder ohne Erfolg.
Als sie noch mal auf die Website dieser Einrichtung geht, entdeckt sie den Hinweis, dass Pilger dort jederzeit willkommen sind. Dementsprechend optimistisch, dass ich da auch ohne Voranmeldung etwas werden sollte, mache ich mich auf den Weg.
Das Zentrum von Thann liegt schon ein ganzes Stück hinter mir, und ich ziehe gerade durch ein Wohnviertel mit Einzelhäusern und großen Gärten, als mir auffällt, dass ich vergessen habe, Wasser zu besorgen.
Also frage ich eine Frau mittleren Alters, die gerade in ihrem Garten arbeitet, ob sie mir etwas Wasser geben könne. Dieser Bitte kommt sie so eifrig nach, dass sie die von mir auf der Mauer aufgestellte leere Flasche stehen lässt und im Laufschritt im Haus verschwindet. Kurz darauf kommt sie mit einer neuen Buttel in der Hand wieder zurück und entdeckt da erst die meine. Ehe ich etwas sagen kann, läuft sie mit ihr zurück ins Haus, um sie mir eine Minute später frisch gefüllt zu überreichen. Dann fragt sie mich, ob ich auch etwas Obst haben möchte.
Hmm. Also, wenn sie eventuell einen Apfel hätte…? Ich habe inzwischen gelernt, dass man solchen Menschen eher eine Freude macht, wenn man ihre Angebote annimmt, als wenn man sie aus Bescheidenheit ausschlägt. Und so scheint es auch in diesem Fall zu sein. Mit einem Strahlen im Gesicht überreicht sie mir einen Apfel und eine Nektarine und befragt mich noch ein wenig zu meinem Weg, ehe ich dann leicht überladen weiterziehe.
Nach einiger Zeit sehe ich vor mir in einiger Entfernung eine Gruppe Wanderer die Straße überqueren. Sie scheinen keine Pilger zu sein, da sie nur kleine Rucksäcke tragen. Als ich an ihnen vorbeigezogen bin, passiere ich die nächste Truppe mit Walkingstöcken. Es stellt sich heraus, dass hier unzählige Leute unterschiedlichsten Alters auf einem organisierten Rundkurs unterwegs sind. An einem Versorgungsstand, an dem es auch Kaffee und Kuchen gibt, hält man mich für einen von ihnen und will mir einen Tampon geben. Zum Glück weiß ich aus Erfahrung, dass das Stempel heißt und kläre die Dame über meine eigene Tour auf.
So langsam dämmert mir, dass diese Gruppe unter Umständen das gleiche Ziel haben könnte wie ich. Immerhin soll deren Etappe auch 20 km betragen. Und so ein Kloster ist ja durchaus ein begehrtes Ziel. Dann könnte es doch eng werden!
Aber es stellt sich heraus, dass sie doch einem anderen Weg folgen. Das bemerke ich allerdings gute 3 km zu spät. Da ich dem Strom mit der Zeit schon automatisch gefolgt bin, hatte ich gar nicht mehr auf meine Wegweiser geachtet. Noch unangenehmer als diese Extrakilometer ist, dass ich diesem Convoy nun, nach meiner Wende, entgegenlaufe, und es jetzt alle 30 Sekunden ein „Bonjour“ zu erwidern gilt!
Der einzige Ort der Strecke bietet leider keine Einkehrmöglichkeiten. Jedenfalls keine geöffneten. Die einen sind heute geschlossen, die anderen offenbar schon etwas länger. Das einzige Getränk, das mir hier angeboten wird, ist ein offenbar selbstgebrannter Schnaps, den mir ein Jugendlicher in einer Flasche entgegenhält. Ich lehne dankend ab, und er gesellt sich wieder zu seiner Gruppe, mit der er hier am Straßenrand seinen Nachmittag zu verbringen scheint.
Gut, dann eben eine Pause mit dem, was ich noch so bei mir habe. Ein kleiner Rastplatz an einem Waldrand kommt mir dafür wie gerufen.
Den ziemlich steilen Berghang, der darauf folgt, laufe ich gleich zweimal. Denn beim ersten Mal stelle ich nach gut einem Kilometer fest, dass ich beide Hände frei habe… Mist! Nein, ich lasse meinen Stock nicht liegen! Immerhin hat er sich inzwischen als guter Begleiter erwiesen – und so viele habe ich davon ja nicht.
Bald darauf erreiche ich die Klosteranlage. Zunächst wirkt alles etwas ausgestorben, aber dann entdecke ich zwei Schwestern, die auf der Treppe vor dem Haupteingang sitzen. Ich frage sie nach einer Unterkunft. Die eine der beiden spricht etwas Deutsch und bittet mich, kurz zu warten. Sie verschwindet nach drinnen und kommt kurz darauf wieder und bittet mich nun, ihr zu folgen. Sie zeigt mir ein Zimmer mit eigener Toilette. Die Duschen hingegen sind auf dem Gang. Abschließend informiert sie mich noch darüber, dass es um 18:15 Abendessen gibt und ich, aber nur wen ich möchte, noch an der Abendmesse teilnehmen könne.
Interessanter Weise scheint ein Großteil der Schwestern hier schwarzafrikanischen Ursprungs zu sein.
Da es hier eh nicht allzu viel zu tun gibt, suche ich die angekündigte Messe auf. Dort lausche ich den auffällig monotonen Gebeten und Gesängen der Schwestern, die in einem Flügel des Kirchenschiffes sitzen.
Meine Hänchenkeule mit angebraten Spaghetti esse ich in Gesellschaft von zwei jungen Madagaskanern. Der eine mutet eher mexikanisch an, während der andere mit Rasterlocken und einem sehr fröhlichen Temperament dasitzt. Wir unterhalten uns auf englisch. Was ich aber erst später von einer der Schwestern erfahre: Beide sind frische Pastoren. Der eine hatte hier gerade sein Diplom gemacht und der andere seinen Doktortitel.
Außerdem sitzt ein alter Mann mit am Tisch, der hier offenbar wohnt, und dessen Platz ich anfangs aus Versehen eingenommen hatte. Darauf wies mich eine der Schwestern hin – noch bevor er kam.
Er ist offenbar schwerhörig, soll aber auch Deutsch sprechen. Während ich mich mit den Afrikanern unterhalte, beobachtet er mich immer wieder von der Seite. Sagt aber nichts. Erst als die Anderen sich bereits verabschiedet haben, spricht er mich plötzlich an. Er will wissen, woher ich komme. „Ah! Reeperbahn!” erwidert er auf meine Antwort.
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)