Camino via Podiensis (Tag 02)

 

Le Puy-en-Velay → Saint-Privat-d’Allier


 → 23,7 Kilometer
↑ 577 Meter

Donnerstag, der 08.07.2010

 

die Auvergne
die Auvergne

Als ich wach werde und ich mich ausgeschlafen fühle, ist es im Zimmer immer noch stockdunkel. Das sagt aber wegen der absolut lichtdichten Fensterläden nichts über die Tageszeit aus. Es ist ziemlich genau 6:00 Uhr.
Da mein Zimmer relativ kühl war, muss ich erkennen, dass mein Schlafsack-Inlet auch hier in Südfrankreich und um diese Jahreszeit durchaus etwas zu wenig sein kann.
Ich stehe auf, ziehe mich an, packe meinen Rucksack und begebe mich dann in die Küche, wo bereits ein wenig Baguette und Marmelade sowie vier französische Pilgerinnen um die 50 auf mich warten. Eine von Ihnen spricht englisch und wir unterhalten uns einige Zeit, ehe sie dann noch vor mir aufbrechen.
Bevor ich die Herberge ebenfalls verlasse, mache ich noch einen kleinen Eintrag in das Gästebuch und stelle dabei fest, dass hier offenbar fast ausschließlich Franzosen unterwegs sind. Der letzte deutsche Eintrag liegt gute 2 Wochen zurück.
Als ich nur wenige Minuten später an der Kathedrale vorbeikomme, höre ich, dass in diesem imposanten Bauwerk gerade eine Pilgermesse abgehalten wird. Ich überlege kurz und beschließe, die Gelegenheit zu nutzen, vor meinem Start daran teilzunehmen.
Am Ende werden noch alle hier und heute startenden Pilger nach vorn gebeten, um kurz zu erzählen woher sie kommen. Danach gibt der Pastor jedem von uns einen kleinen, silbernen Anhänger auf dem sich ein Relief der Jakobsmuschel befindet.
Dann verlassen wir alle mehr oder weniger gemeinsam die Notre Dame von Le Puy-en-Velay, und die meisten von uns starten ihren ersten Tag eines langen und ereignisreichen Weges.
Interessanter Weise führt der Camino – oder wie er hier heißt: der Chemin de Saint-Jacques de Compostelle – nicht direkt an der Kathedrale vorbei, sondern verläuft ein paar hundert Meter weiter unten durch das Stadtzentrum (→ SV).
Da ich 2008 nach meinem ersten Camino in einem Frankreichurlaub bereits zufällig hier war, weiß ich inzwischen, wo ich hin muss.
Ich bin gerade dabei ein Foto von dem ersten Wegweiser zu machen, da spricht mich plötzlich ein älterer Franzose an und fragt mich, ob ich Pilger sei und weist mich ganz euphorisch darauf hin, dass ich mir noch unbedingt etwas sehr Sehenswertes angucken solle. Ich verstehe zwar überhaupt nicht, was das sein könnte, aber offenbar muss ich dafür etwas zurück ins Zentrum gehen.
Er ist so engagiert, dass ich ihn nicht beleidigen möchte und drehe noch mal um. Ich sollte mich eh noch mal um ein paar Lebensmittel kümmern, bevor ich die Stadt verlasse.
Gerade, als ich über einen Platz auf einen Supermarkt zusteuere, tippt mir dieser wieder Franzose auf die Schulter und macht mich freundlich darauf aufmerksam, dass ich gerade an „seiner“ Attraktion vorbeigelaufen sei. Also geleitet er mich zurück und wir landen vor einer Tafel, auf der der Verlauf das Caminos abgebildet ist, welche ich nicht nur bereits gestern, sondern auch schon 2008 aufmerksam studiert hatte.
Nachdem ich ein Foto gemacht habe, bin ich entlassen und steuere erneut den Spar-Markt an (→ SV), in dem ich mir dann Bananen, Wasser und Müsliriegel besorge.
Danach kann es endlich losgehen! Das Wetter ist bilderbuchmäßig, und auf dem Weg sind nach wie vor noch einige weitere Weggenossen unterwegs. Im Gegensatz zu den spanischen Caminos wird einem hier mit rot/weißen Markierungen der Weg gewiesen, da es sich zugleich um den GR65 handelt. Also dieses Mal keine gelben Pfeile. Aber die gelbe Muschel auf blauem Grund ist auch hier überall montiert und gibt zudem immer die kilometergenaue Entfernung nach Santiago an. Aktuell sind es 1.521 km.

Blumen und Masten
Blumen und Masten

Nach einer ganzen Weile passiere ich eine kleine Ansammlung von Häusern, von denen eines doch tatsächlich ein Café beherbergt. Zeit für meinen ersten – nein, nicht Cafe con leche – sondern für meinen ersten Café au lait. Ich genieße diesen im Schatten sitzend, während der eine oder andere Pilger an mir vorbeizieht.
Die 2,50 € die ich dann dafür bezahle, bestätigen meine Befürchtung, dass ich auch für diesen Posten in den nächsten Wochen mal gut das doppelte von dem kalkulieren kann, was ich bislang in Spanien zahlen musste.
Die Landschaft um mich herum ist seit dem Verlassen Le Puys sehr malerisch. Und irgendwann steht plötzlich inmitten dieser Gegend ein Wohnwagen, um den sich zahlreiche Pilger versammelt haben. Sie stehen oder sitzen unter Sonnenschirmen und nehmen einen Imbiss zu sich. In dem Wohnwagen ist eine Frau mit ihren beiden kleinen Töchtern dabei, einige Speisen und Getränke zu sehr humanen Preisen zuzubereiten. Perfekt! Ich könnte inzwischen gut was gebrauchen. Also bestelle ich mir ein Käsesandwich. Da ich kein Wort französisch kann, bin ich immer sehr froh, wenn ich eine solche Bestellung verständlich rüber bringe. Nur habe ich inzwischen gelernt, dass es damit offenbar leider nie getan ist: Es folgt grundsätzlich eine Gegenfrage (ich sage nur: „medium“). In diesem Fall möchte sie etwas wissen, dass ich nun beim besten Willen nicht verstehe. Da tritt plötzlich einer der französischen Pilger an meine Seite und erklärt mir auf englisch, dass das Baguette wohl noch etwas gefroren sei, und ob es ok wäre, wenn sie mir den Aufschnitt und das Brot separat mitgibt, damit letzteres noch auftauen könne.
Und das hätte ich nun verstehen sollen!?
Aber ja, das geht in Ordnung. Und so bekomme ich von ihr das Baguette sowie eine üppige Menge Salami mit auf den Weg.
Bis ich mich darüber her machen kann, vergeht allerdings noch eine ganze Zeit. Aber nicht nur weil ich warten muss bis das Brot sozusagen sonnenaufgebacken ist, sondern weil ich für meinen Pausenplatz zumindest gern etwas Schatten hätte. Irgendwann finde ich diesen am Ausgang eines kleinen Ortes.
Das Baguette hat in der Sonne tatsächlich eine optimale Konsistenz erreicht. Und die Salami ist ebenfalls sehr lecker.
Während ich da sitze und mich stärke, gesellt sich ein junger französischer Pilger zu mir, der relativ schnell feststellen muss, dass man mit mir auf französisch nicht all zu tiefschürfende Gespräche führen kann, aber auch er bemüht sich und widerspricht damit dem weitverbreiteten Image der Franzosen.
Kurz vor der Chapelle Saint-Roch, die etwas außerhalb des kleinen Ortes Montbonnet in eine Wiese gebettet liegt, sehe ich einen Mann von Mitte/Ende 60 im Schatten sitzen. Er liest in einem Wanderführer mit dem mir wohlbekannten gelben Cover. Von daher spreche ich ihn direkt auf Deutsch an. Er heißt Traugott und scheint sehr nett zu sein. Trotzdem ziehe ich sehr bald weiter – allein schon, weil ich mich langsam mal um etwas zu trinken kümmern muss. Gute 10 Minuten später werde ich fündig. Direkt an einer Hauptstraße gelegen befindet sich eine weitere Bar (→ SV). Also genieße ich hier noch mal einen weiteren Café draußen und im Schatten sitzend. Die Flasche Wasser, die ich hier erworben habe, ist so kalt, dass mir die Sonne abermals helfen muss, diese auf Trinktemperatur zu bringen.
Meine sehr praktische Kombination aus Taschenlampe, Uhr, Wecker und Thermometer verrät mir, dass hier inzwischen gute 33° C herrschen.

Saint-Privat-d'Allier
Saint-Privat-d’Allier

In meinem Wanderführer steht, dass es durchaus Sinn macht, in der Herberge meiner Wahl vorher telefonisch zu reservieren. Da daran aber bei meinen Sprachkenntnissen im Traum nicht zu denken ist, bin ich sehr gespannt, was mich erwartet, als ich die Bar der Gîte Le Kompost’l betrete (→ SV).
Die Dame hinter dem Tresen greift auf meine Frage hin zu einem Zettel und schreibt mir einen Preis von 13,- € auf, wobei das Frühstück mit 5,50 € darin enthalten ist. Nachdem ich ihr verständlich gemacht habe, dass ich das gern aber ohne Frühstück nehmen möchte, bittet sie mich, ihr um das Gebäude herum zu folgen. Über eine Außentreppe betreten wir eine Art Wohnung, die über mindestens einen Schlafraum mit zwei Etagenbetten verfügt. Ferner gibt es hier ein richtiges Badezimmer und eine riesige, aber wohl zurzeit nicht genutzte Küche. Und so wie es aussieht, bin ich bislang der Einzige, der hier heute nächtigt.
Nachdem ich mich frisch gemacht habe, begebe ich mich wieder hinunter und setze mich nach draußen vor die Bar und bestelle mir ein großes Bier. Nach einiger Zeit setzt sich eine Frau mittleren Alters an meinen Nachbartisch. Sie ist eine deutschsprachige Schweizerin und wir kommen ins Gespräch. Sie heißt Sieglinde. Unter anderem erfahre ich, dass sie für 40,- € im Hotel gegenüber ein Zimmer gebucht hat, aber bislang nicht hinein kommt, da noch keiner da zu sein scheint.
Apropos üppige Ausgaben: Mein Bier wird hier mit satten 4,40 € berechnet. Aber eines reicht ja auch erst mal.
Für das heutige Abendessen kehre ich in das besagte Hotel ein. Ich bestelle mir ein Menü für 16,- €. Da ich immerhin weiß, dass „fromage“ Käse heißt, ist mir zumindest zu einem Viertel bekannt, was mich da erwartet.
Aber was dann kommt, stellt sich als Reifeprüfung für jedes Dschungelcamp heraus! Vor mir wird ein Teller platziert, der erst dann wieder zum Vorschein kommen wird, wenn ich mich durch einen riesigen Berg Blaukäse gekämpft habe. Und das, wo ich nun wirklich kein großer Fan von Weich- oder Schimmelkäse bin. Aber er ist sicher gesund und für die körperlichen Anstrengungen hier bestimmt genau das Richtige. Also Augen zu und durch. Als ich es tatsächlich geschafft habe, bin ich so satt, dass ich fast platze. Dumm nur, dass dies erst die Vorspeise war!
Als Hauptgericht folgt eine Art Putenkeule mit Bratkartoffeln und Bohnen. Was soll’s!? Alles, was ich heute schaffe, brauche ich morgen nicht mehr. Also weg damit!
Ich vernehme von der Bedienung, dass sie davon ausgeht, dass ich zum Nachtisch noch mal Blaukäse haben möchte (wahrscheinlich, weil ich den ja so gut aufgegessen habe), folgt von mir ein doch sehr deutliches „NO!“ und ich bekomme einen relativ kleinen Teller mit Hartkäse. „Uff.“
Als ich das Hotel endlich wieder verlassen darf, bin ich mir sicher, nie wieder etwas essen zu können.
Vor der Bar meiner Gîte hat sich zwischenzeitig ein kleines Blasorchester aufgebaut und macht recht unterhaltsame Musik. Drum herum haben sich offenbar der gesamte Ort und auch all seine Gäste versammelt, und alle verfolgen dieses kleine Spektakel in ausgelassener Stimmung.
Als ich irgendwann später wieder in das Apartment zurückkehre, habe ich dieses nach wie vor für mich ganz allein.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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