Camino via Podiensis (Tag 13)

 

Figeac → Saint-Sulpice


 → 38 Kilometer
↑ 150 Meter

Montag, der 19.07.2010

 

Figeac
Figeac

Offenbar hatten die beiden Frauen bei der Wahl ihrer Frühstücksbar den Plan ohne eine Kenntnis über die hiesigen Öffnungszeiten gemacht. Denn nachdem ich die Herberge verlassen habe und die Gasse entlanglaufe, ist alles noch geschlossen und auch von den Damen nichts zu sehen. Irgendwie haut das hier mit den Verabschiedungen nicht so richtig hin! Leider öffnet auch die Touristeninformation (→ SV) erst um 9:00 Uhr, und da es in der Herberge seltsamer weise keinen Stempel gab, heißt es nun, etwas auf Zeit zu spielen. Wenigstens hat ein Supermarkt bereits seine Türen geöffnet und ich besorge mir die obligatorischen Utensilien. Unabhängig davon gilt es, auch noch irgendwo etwas zum Frühstücken zu bekommen. Als ich gerade dabei bin meine Suche danach zu starten, entdecke ich plötzlich Fabienne, wie sie allein und offenbar ohne bestimmtes Ziel mir entgegen schlendert. Sie begrüßt mich mit den Worten, dass sie sehr froh sei mich nun doch noch zu treffen. Und so tauschen wir ein paar Worte, unter anderem gibt sie mir auch noch einen Tipp, wo ich gute Sandwichs bekomme, und dann verabschieden uns kurz und schmerzlos. Die belegten Baguettes stellen sich tatsächlich als sehr gut heraus. Und so nehme ich gleich zwei davon. Eines für sofort und das andere für unterwegs. Anschließend kann ich mir endlich meinen Stempel holen und dann mache ich mich auf, die Stadt zu verlassen.
Diese liegt noch nicht ganz hinter mir, da stoße ich in deren kleines Industriegebiet. Als ich auch das durchquert habe, mündet der Weg in eine Wiese, deren Gras immer höher wird. Und als es mich fast ganz zu verschlucken droht, stoße ich auf den Zaun eines Privatgrundstückes. Irgendwas läuft hier falsch! Und das bin offenbar ich selber.
Von der immer noch nahe gelegen Straße ruft mir ein Mann zu und zeigt mir, wie ich meinen Irrtum korrigiert bekomme: indem ich das Industriegebiet wieder komplett zurück laufe. Nun gut. Offenbar habe nicht nur ich diese Ehrenrunde gestartet: Kurze Zeit später überhole ich noch zwei weitere Pilger auf ihrem „Rückweg“. Am Ausgangspunkt sehe ich dann auch, warum es einem hier so leicht gemacht wird, sich zu verlaufen: An einem Kreisverkehr ist irgendwo zwischen unzähligen großen Hinweisschildern der kleine Aufkleber versteckt, der einen hier nach rechts leiten soll, wenn man nach Santiago und nicht zu Renault möchte.
Ich muss mir eingestehen, dass das „Zurücklassen“ meiner Bekanntschaften der letzten Tage mir doch etwas zu schaffen macht. Es ist ja schon irgendwie ein etwas anderes Erleben, wenn man mehr oder weniger in Gesellschaft unterwegs ist. Aber nun bin ich halt erst mal wieder allein. Und das könnte durchaus auch für einige Zeit dabei bleiben. Wer weiß, vielleicht sogar komplett. Denn viel ist hier wirklich nicht mehr los. Aber ich darf auch nicht vergessen, dass ich mich hier auf einem Camino befinde, und die sind bekannter Maßen immer für Überraschungen gut.
In einem etwas höher gelegenen und recht idyllischen kleinen Ort ist es dann mal wieder Zeit für einen Café Crema. Während ich diesen genieße, spricht mich eine französische Pilgerin vom Nachbartisch an, ob ich ihre restlichen Chips haben möchte, da sie jetzt wieder aufbrechen will. Ich nehme dankend an. Eine andere, ebenfalls französischsprachige Frau fragt mich, ob ich mich auch für die demnächst anstehende Alternativ-Strecke entscheiden würde. Ich bestätige dies. Darauf hin erzählt sie mir, dass dieser Abschnitt es hier und da wohl auch etwas in sich haben soll. Er sei angeblich bei Weitem nicht so flach, wie der eigentliche Weg.
Hmm, das festigt meinen Entschluss noch weiter. Nun bin ich wirklich nicht sonderlich scharf auf Steigungen und Gefälle, aber diese bringen nun mal meistens auch die deutlich spannenderen Landschaften mit sich. Und um 12:23 Uhr komme ich dann an die Stelle, an der es sich endgültig zu entscheiden gilt. Ein paar hölzerne Schilder weisen auf die Weggabelung hin, und ich verlasse ohne großes Zögern den ursprünglichen Weg (wobei sich hier die Geister scheiden, denn es ist dort auch zu lesen, dass der alternative Abschnitt der eigentlich originale sei…). Also trägt mein Weg für die nächsten Tage den Namen GR 651 anstatt GR 65.

Figeac
Figeac

Inzwischen habe ich nicht nur gut ein Drittel des Camino via Podiensis hinter mir, sondern dringe auch eindeutig in den südlichen Teil des Landes vor: Die Luft ist erfüllt von einem geschlossenen Klangteppich der überall in den Bäumen sitzenden Zikaden. Aber auch Landschaftlich bekommt das Ganze hier ein immer mediterraneres Flair. Trotzdem könnte ich jetzt langsam gern mal ankommen, zumal auch die Temperaturen nicht mehr wirklich nordisch sind. Und als ich endlich das kleine als mein Ziel gedachte Espagnac-Sainte-Eulalie und dessen alte Herberge erreiche, muss ich leider wiederholt erfahren, dass hier zwar noch kein einziger Pilger, aber dafür zahlreiche Reservierungen eingegangen sind. Und zwar so viele, dass ich das Gebäude direkt wieder verlassen kann. Der junge Spanier, bei dem ich zuvor nach dieser Unterkunft fragte, bittet mich, wieder mit ihm zurück in den benachbarten Garten von seinem Haus zu kommen. Dort startet er umgehend eine kleine Telefonrecherche bei diversen Unterkünften in der Umgebung. Als er fertig ist, berichtet er mir, dass er eine Pension oder ein Hotel für fifteen Euro gefunden hat. Ich frage erstaunt nach. Und da er so gut wie kein englisch spricht, bitte ich ihn, den Preis aufzuschreiben. Er malt eine 45… Da guckt plötzlich die Dame von der Herberge über den Zaun und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Sie bietet uns an, mal bei einem der Anwohner im Dorf nachzufragen, ob er mich für die Nacht aufnehmen würde. Derweil stellt mir der Spanier eine Karaffe mit Wasser und ein Glas auf den Gartentisch und beginnt aufs Neue zu telefonieren. Er ermittelt einen Campingplatz bei dem man für 10,- € in einem Wohnwagen oder für 5,- € in einem Großraumzelt unterkommen könne. Allerdings sei dieser noch mal weitere 8 km entfernt. Darauf bietet mir die Dame von der Herberge an, mich später dort hinzufahren – den besagten Anwohner hatte sie nicht angetroffen. Dann erzählt der Spanier mir plötzlich etwas von einer weiteren Frau, die ebenfalls noch auf der Suche nach einer Unterkunft sei. Eventuell könne ich mir ja mit ihr das Zimmer für 45,- € teilen. Ich bin etwas verblüfft und noch irritierter, als er mit der Schweizerin aus seinem Haus wieder auftaucht. Wie ich erfahre, ist sie schon seit gut einer Stunde hier. Ich verstehe gar nichts. Dann müssten die hier doch diese ganze Prozedur bereits hinter sich haben!? Und warum kommt er erst jetzt auf sie zurück?
Wie auch immer. Ich entscheide mich den Campingplatz anzusteuern – natürlich zu Fuß. Darauf wird die Schweizerin kurz nervös, da sie offenbar für heute am Ende ihrer Kräfte ist. Aber als ich ihr erzähle, dass die Herbergsmutter bereit ist, gegen 18:00 dorthin zu fahren, ist auch sie glücklich. Und ich bin es auch, denn wir schon beim letzten Mal in dieser Situation überkommt mich eine beflügelnde Euphorie. Ich kann wirklich sagen, dass mich diese eigentlich scheinbar frustrierende Situation aus meinem Tal herauskatapultiert hat. Vielleicht gibt einem der Camino ja wirklich das, was man braucht – manchmal. Bleibt nur noch zu hoffen, dass meine Sonnenmilch noch ein paar Überstunden schiebt.

Espagnac-Sainte-Eulalie
Espagnac-Sainte-Eulalie

Die verbleibende Strecke ist mit ihrem Verlauf an einer Felskante nicht nur spektakulär sondern vergeht auch wie im Fluge. Als ich beim Campingplatz ankomme, werde ich schon erwartet. Die Dame an der Rezeption fragt mich, ob ich der Pilger aus Espagnac sei. Dann zeigt sie mir das bislang unbewohnte und mit ca. 10 Luftmatratzen ausgestattete Großraumzelt und gibt mir sogar noch Einwegbettwäsche.
Danach begebe ich mich ins Waschhaus und starte eine umfangreiche Körperpflege, die sogar eine Rasur beinhaltet. Letztere vollstrecke ich mit einem Einwegrasierset, dass sicherlich auf einer der Listen von Amnestie International wiederzufinden ist. Das Rasiergel aus der kleinen Tube bringt gar nichts. Und so ziehe ich offenbar jedes Haar einzeln aus seiner Pore. Als ich endlich durch bin, lasse ich mich noch von ein paar etwas irritiert dreinblickenden Frauen darüber aufklären, dass ich mich in der Damenabteilung befinde. Egal. Ich bin ja eh fertig. Inzwischen ist auch die Schweizerin eingetroffen und hat vor, demnächst etwas essen zu gehen. Trotzdem machen wir uns zeitversetzt auf den Weg, treffen aber in dem wahrscheinlich auch einzigen Restaurant des kleinen Ortes wieder aufeinander. Allerdings setze ich mich – ganz Camino-unlike – an einen eigenen der draußen stehenden Tische. Sie ist eh fast fertig, und mir ist heute nicht nach Gesellschaft.
Der Platz ist malerisch! So, wie der ganze Ort liegt er im Talkessel der umliegenden Felswände und ist umgeben von Lavendel und anderen Blumen auf denen Schmetterlinge im warmen Abendlich von Blüte zu Blüte fliegen. Klingt Kitschig? Ist aber genau so!
Und auch der Kellner kümmert sich mit viel Humor liebevoll um seine gerade mal drei belegten Tische. Nicht zuletzt deswegen stimme ich auch noch einer Waffel mit Schokoladensoße als Dessert zu, die, wie auch das Bier, allein schon soviel wie meine heutige Übernachtung kostet. Aber dieser Abend ist es auch wirklich wert!
Als ich wieder zurück auf dem Campingplatz bin, setze ich mich noch für einige Zeit auf einen Felsen, der im direkt angrenzenden Fluss liegt.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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