Camino del Norte (Tag 14)

 

San Vicente de la Barquera → Colombres


 → 17,4 Kilometer
↑ 140 Meter

Sonntag, der 05.07.2009

 

gelber Pfeil
gelber Pfeil

Kurz vor unserem Aufbruch nutze ich noch mal die Gelegenheit, den in der Herberge befindlichen und kostenlosen Internetzugang zu nutzen, nachdem mit diesem am Vortag (in punkto Datenübertragung) überhaupt nichts anzufangen war. Jetzt geht‘s schon besser, und ich lese kurz meine Mails.
Als ich damit durch bin, sammeln wir noch unsere frisch gewaschene Wäsche zusammen und brechen dann gegen 9:00 Uhr auf.
Nun würde ich ja sagen, dass ich eher zu den Pilgern mit dem etwas höheren Tempo gehöre, aber kurz hinter dem Ort ist es Olli, der sich immer weiter von mir entfernt. Nun kann das auch daran liegen, dass ich immer wieder für Fotos anhalte. In jedem Fall scheint es sich nicht um eine Art Flucht zu handeln, denn einige Kilometer weiter höre ich plötzlich meinen Namen – von hinter mir. Olli hatte sich offenbar abseits des Weges zu einem kleinen Frühstück niedergelassen. Auch ich bin natürlich noch auf der Suche nach einer Einkehrmöglichkeit. Allerdings hatte ich das Gebäude, in dem Ollis war, aus der Ferne nicht für voll genommen. Und so ziehen wir erst mal wieder gemeinsam weiter.
Nach einigen weiteren Kilometern passieren wir ein kleines Dorf, das über eine sehr einladende Bar verfügt. Ich entscheide, hier mein Frühstück einzunehmen. Da Olli dies nun gerade erst hinter sich hat, beschließt er, schon mal weiter zu ziehen.
Ungewöhnlicher Weise verabschieden wir uns per Handschlag. Wir ahnen wohl beide, dass wir uns nicht mehr wiedersehen werden. Ollis Zeitfenster ist um einiges kleiner als das meine. Aus diesem Grunde muss er sich jetzt innerhalb der nächsten eins, zwei Tage einen Bus nehmen und ein großes Stück des Caminos überbrücken. Und heute möchte er bereits über die Herberge in Colombres hinauslaufen und sich später ein Hostal nehmen, um auf ein gewisses Tagespensum zu kommen. Ich liege ganz gut in meinem Zeitplan und sehe die besagte Herberge als mein heutiges Ziel.
Mit entsprechend gemischten Gefühlen betrete ich danach die Bar. Es ist langsam mal an der Zeit, sich neuen Begegnungen zu öffnen bzw. vielleicht auch einfach erst mal wieder eine Zeit lang allein unterwegs zu sein. Mein Problem dabei: Es sieht fast so aus, als hätte ich da gar keine Wahl. Inzwischen habe ich ja doch einen ganz guten Überblick darüber, wer hier so unterwegs ist. Und davon sind die meisten weder der englischen, geschweige denn der deutschen Sprache mächtig.
Aber ich erinnere mich, dass ich auch auf dem sehr belebten Camino im letzten Jahr eine solche Durststrecke hatte, die zwar nicht schön war, aber wieder vorbei ging.
Und diese hier dauert ja nun auch erst gut vier Minuten…
Das Bocadillo mit Tortilla, das ich hier bekomme, ist eines der besten, das ich bisher hatte. Frisches, knuspriges Brot mit einem heißen Omelette für gerade mal 3,- €.
Ich setze mich nach draußen und lasse mir Zeit.

Boot auf dem Rio Nansa
Boot auf dem Rio Nansa

Den weiteren Weg verbringe ich, wie zu erwarten, allein.
In einer etwas größeren Ortschaft vor meinem Ziel kehre ich noch mal zu einem Kaffee ein und mache mich dann an die noch verbleibenden 3 km. Links von mir säumen ziemlich schwarze Wolken die Kämme eines parallelen kleinen Gebirgszuges.
Die Herberge, deren Bettenkapazität sich laut Wanderführer auf unglaubliche 120 Stück belaufen soll, befindet sich gleich am Ortseingang. Die zahlreichen Schulkinder davor lassen nichts Gutes ahnen. Und tatsächlich ist hier kein Bett mehr frei. Nun wäre ich allerdings eh nicht so scharf darauf gewesen, den Rest des noch ziemlich langen Tages und die Nacht zwischen über 100 ca. 10 Jährigen zu verbringen.
Zum Glück weist mich mein kleines Buch noch auf eine alternative Notunterkunft hin: Eine Sporthalle…
Diese erreiche ich nur wenige Minuten später. Sie ist offen und offenbar auch belebt. Allerdings fliegen hier keine Bälle durch den Raum, sondern es sitzen sich diverse Personen an einem langen Tisch gegenüber und spielen Schach.
Es dauert nicht lange, da nimmt sich ein junger Mann meiner an und führt mich über eine Treppe auf eine Empore an der Stirnseite der Halle. Hier stehen nicht nur diverse Fitnessgeräte, sondern es liegen auch zahlreiche Sportmatten und zwei Matratzen aus. Er trägt meine Personalien ein und klärt mich über die örtlichen Gegebenheiten auf. Währenddessen trifft eine ältere Frau Mitte/Ende 70 ein. Sie ist Französin und bereits in Arles gestartet. Da keiner von uns Französisch kann, ruft der Verwalter kurz einen ca. 8jährigen Jungen aus der Halle hoch, der daraufhin als Dolmetscher fungiert.
Abschließend zeichnet uns der Mann noch sehr detailliert und liebevoll den weiteren Verlauf des Caminos für den nächsten Tag auf.
Danach greifen die Französin und ich uns jeder eine der Matratzen, die man eigentlich nicht einmal mit der Kneifzange bewegen möchte – aber wozu hat man einen Schlafsack. Und auf die Sportmatten kann ich doch ganz gut verzichten.

trostloses Wetter
trostloses Wetter

Anschließend begebe ich mich in die sehr belebte Dorfbar. Die Bedienung bewältigt ihren Job in einem äußerst bemerkenswerten Tempo. Die Gläser, Tassen, Teller und Türen fliegen nur so durch die Gegend. Auch ich muss auf meinen Café con leche sowie das Bocadillo nicht lange warten. Und während auf dem Flachbildfernseher in der Ecke aktuelle Musikvideos laufen, überlege ich, wie ich den noch recht langen Rest des Tages rum kriegen soll. Knappe 20 km sind einfach zu wenig. Das sagt sich auch das tschechische Paar, dass ich bei meiner anschließenden Runde durch den Ort treffe. Das Problem ist nur, das die nächste Herberge erst in 25 km folgt. Das stört die beiden nicht, da sie ein Zelt dabei haben, und sie ziehen weiter.
Schade.
Außer der Bar und einem geschlossenen Museum hat dieser Ort leider nichts zu bieten. Und so laufe ich den Weg einfach noch mal ein Stück zurück. Ich setze mich für einen Moment auf eine Bank und verzweifle fast an der Langeweile. Es soll ja Pilger geben, die aufgrund ihrer sehr frühen Startzeiten jeden Tag gegen Mittag am Ziel ankommen.
Dies habe ich ja im letzten Jahr schon nicht verstanden.
Als es langsam anfängt zu regnen, trete ich den Rückweg zur Halle an. Hier ist das Schachturnier zwischenzeitig mit großer Preisverleihung beendet worden, und es macht sich jetzt eine Theatergruppe für ihren Auftritt in der nahegelegenen Freilichtbühne warm. Diese ist zu deren Glück überdacht, denn inzwischen gießt es draußen. Neben mir trainieren zwei junge Männer an den Geräten, während ich diese surreale Szene vervollständige, indem ich in meinem Schlafsack liege und auf meiner Kamera Reversi spiele.
Gegen 21:30 Uhr kreuzen noch die beiden deutschen Mädels auf, die ich auch schon kurz in der letzten Herberge wahrgenommen hatte. Die eine ist aus Bremen und die andere sogar aus Hamburg.
Wir unterhalten uns noch eine Weile, dann geht es ans Schlafen, und der nächste Tag kann endlich kommen!

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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