Agés → Burgos
→ 28,4 Kilometer
↑ 390 Meter
Montag, 12.05.2008
Der akute Bettenmangel ist nicht nur beim gemeinsamen Pilgermenü inzwischen das Thema Nr. 1, sondern er spielt offensichtlich auch beim Zeitpunkt des morgendlichen Aufbruchs eine immer größere Rolle.
Als ich aufstehe, ist es ca. 8 Uhr, und der unter mir liegende Schlafraum ist komplett leer.
Ich habe nicht vor, mich von dieser Bettenpanik anstecken zu lassen und lasse mir Zeit.
Das Dorf und auch die umliegende Landschaft sind in einen malerischen Nebel getaucht, der aber bereits vom Morgenlicht der Sonne durchflutet wird. Es verspricht mal wieder, ein freundlicher Tag zu werden.
Im nächsten Ort besorge ich mir von meinen verbliebenen 3,- € eine Flasche Wasser, 2 Bananen, ein halbes Baguette sowie eine dringend benötigte Packung Taschentücher.
Noch im selben Ort setze ich mich mit den Sachen an den Straßenrand und bastele mir aus dem Brot und einer der Bananen ein „Bocadillo Spezial“. Es zieht kein Mensch und kein Auto an mir vorbei. Alles ist wie ausgestorben.
Beim Erklimmen des bevorstehenden, kleineren Berges zeigt die Sonne langsam ihre Wirkung. Oben angekommen stößt man auf ein Gipfelkreuz und riesige über die Wiese ausgelegte Steinringe, die offenbar von Pilgern immer mehr erweitert werden. Auch ich lege einen Stein dazu.
Wenn man die Kuppe hinter sich lässt, blickt man bereits auf Burgos, das aber laut Wanderführer von hier noch mehrere Stunden entfernt sein soll. Er schreibt die Wahrheit, denn man läuft von nun an alles andere als eine Luftlinie. Der Weg führt kreuz und quer durch das Umland. Teilweise läuft man eine kilometerlange Schleife, deren Endpunkte aber nur wenige Hundert Meter auseinander liegen.
Kurz vorm Erreichen des gefürchteten Industriegebietes wird auf eine Wegalternative hingewiesen, der ich natürlich nachgehe. Aber bereits nach wenigen Minuten muss ich resignieren, da der Weg dermaßen aufgeweicht ist. Also ab ins Industriegebiet!
In diesem führte eine mehrere Kilometer lange, schnurgerade Straße nach Burgos rein.
Immer wieder komme ich an Bushaltestellen vorbei, an denen Pilgergruppen stehen. Sie weisen mich darauf hin, dass der Bus demnächst käme und dieser einem die städtische Einöde und den Verkehr ersparen würde. Aber ich lehne dankend ab. Nie wieder Bus auf dem Camino – schon gar nicht, wenn es sich vermeiden lässt! Ich schalte das erste Mal meinen Mp3-Player ein, den ich sonst nur als Tagebuch nutze, und übertöne den Verkehr mit Musik.
Als ich die Stadt endlich erreiche, gibt es plötzlich nichts mehr, das mir den Weg weist. Keine Muscheln. Keine Pfeile. Dafür gibt es umso hilfsbereitere Menschen, die einem den Weg zeigen. Dies machen sie aber manchmal so eifrig und teilweise zu mehreren, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich sie verstehen würde, wenn sie Deutsch sprächen. So verstehe ich jedenfalls überhaupt nix und hafte mit meinen Augen an deren Handgesten, um daraus irgendwie etwas mehr zu erfahren. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob sie mir den Verlauf des Caminos oder, worauf ich ja eigentlich nur aus bin, den Weg zur Herberge zeigen. Irgendwann bin ich davon überzeugt, dass es das Erstere ist, denn ich verlasse die Stadt schon wieder, als inmitten einer Parkanlage vor mir doch noch das gesuchte Ziel auftaucht.
Ich kann nur hoffen, dass da noch ein Bett für mich frei ist, denn der heutige Tag hatte es in sich! Zum Schluss kam ich doch langsam an meine Grenze. Die Hitze und die nervige Stadt hatten da mit Sicherheit eine verstärkende Wirkung.
Ja, es sind noch einige, wenige Schlafplätze frei. Der recht große Schlafraum ist so dermaßen mit Betten vollgestellt, dass man kaum aneinander vorbei kommt. Duschen und Toiletten gibt es keine – jedenfalls nicht für die, die noch einen absoluten Minimalanspruch an Hygiene haben…
Aber die Lage im Park ist sehr schön. Allerdings bedeutet sie auch, dass ich nun für meine dringend notwendigen Besorgungen noch mal wieder einige Kilometer drauf packen muss.
Also schleppe ich mich zurück in die doch sehr schöne Altstadt mit ihrer imposanten Kathedrale (→ SV).
Von meinem frisch erworbenen Geld (welches jetzt für Wochen reichen sollte…!) gönne ich mir als erstes Mal eine wohlverdiente Kanne Tee. Allerdings muss ich hierfür mehr Selbstbewusstsein als Geld mitbringen. Das Café und seine Gäste wirken recht vornehm und ich bin in Pilgermontur und habe rund 30 Kilometer hinter mir…
Beim anschließenden Einkauf im ersten großen Supermarkt des Weges, erwerbe ich einen Liter Orangensaft, einen Liter Trinkyoghurt, irgendwelche Kräcker, Babybells, Bananen, Brot und Wurst. Man sollte nicht mit Hunger einkaufen gehen – jedenfalls nicht, wenn der Kofferraum einem am Rücken hängt!
So vollgepackt geht es wieder zurück zur Basis.
Für ein Pilgermenü oder dergleichen hätte ich mich abermals in die Stadt begeben müssen. Aber nun ist Schluss! Außerdem habe ich genug, das es zu vernichten gilt, eh ich mich wieder auf den Weg mache.
Also teile ich mein Abendessen mit drei älteren Damen aus Österreich an einem Tisch draußen vor der Herberge. Das erste Mal wieder nette Gespräche. Allerdings sind diese neuen Bekanntschaften von begrenzter, kurzer Dauer, da sie am nächsten Tag mit dem Bus bis León weiterfahren wollen. Diese Alternative soll hier relativ oft genutzt werden, denn ab jetzt steht die durch ihre Eintönigkeit angeblich zermürbende Meseta bevor.
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)