Camino Francés (Tag 29)

 

Sarria → Portomarín


 → 21,9 Kilometer
↑ 220 Meter

Donnerstag, 29.05.2008

 

der 100-km-Stein
der 100-km-Stein

Da ich noch mal in meinen ursprünglichen Schlafraum zurückkehren muss, um meine ganzen Sachen dort herauszuholen, bekomme ich einen kleinen Eindruck davon, was mir in dieser Nacht erspart geblieben ist: Das Fenster ist immer noch zu, und das Wasser läuft in schweren Tropfen die Scheiben hinunter.
Es sind nur wenige Hundert Meter zu laufen, da hat man die Stadt schon wieder verlassen und taucht von Neuem in den ländlichen Teil Spaniens ein. Von lautem Vogelgezwitscher und wenigen Pilgern in einigem Abstand umgeben, starte ich die Etappe, die den 100-km-Stein beinhaltet. Ab dort ist dann nur noch die besagte Entfernung zu laufen. Eigentlich sollen es genaugenommen noch 109 km sein, aber auch den 91er Stein wird diese Strecke beinhalten. Es ist zu befürchten, dass ab jetzt die Pilgerschar noch um einiges zunehmen wird, da es reicht diese letzten 100 km zu zurückzulegen, um in Santiago seine Compostela zu erhalten (mit dem Rad müssen es 200 km sein).
Nur noch 100 km! Das wirkt wie nix. Obwohl: Wie stolz war man am Anfang, die ersten 100 Kilometer geschafft zu haben…
Als ich gerade dabei bin, mein im-nächsten-Ort-Frühstück anzusteuern, das in einem Café etwas abseits des Weges zu bekommen ist, kommt mir eine Pilgerin entgegen, die ich zunächst gar nicht erkenne, sie mich hingegen schon. Es ist doch tatsächlich Brigitte. Es gibt ein großes “Hallo”. Sie wirkt aber etwas niedergeschlagen und erzählt mir dann auch, dass sie ziemlich erkältet sei.
Da sie ihr Frühstück gerade hier hinter sich gebracht hat, beschließen wir, dass ich sie später einhole, was bei ihrer Verfassung nicht so das Problem sein sollte.
Und in der Tat passieren wir den 100-Kilometer-Stein gemeinsam – allerdings, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Da sich das Café, in das wir dann gemeinsam einkehren, nach den Aussagen anderer nur wenige Hundert Meter dahinter befindet, beschließen wir, diese noch mal zurückzulaufen.
Von nun an kommt man jeden Kilometer an einem solchen Monolithen vorbei. Der Countdown läuft, und irgendwie ist jeder dieser Steine ein kleiner Stich. Ich will noch nicht ankommen!
Ich verstehe mich wunderbar mit Brigitte. Zwischendurch treffen wir auch immer wieder die beiden Norwegerinnen, kehren noch mal ein, überwinden ziemlich abenteuerliche mit strömendem Wasser geflutete Wege und genießen das mal wieder zwischendurch recht schöne Wetter. Dementsprechend vergeht die Zeit wie im Fluge, und ehe wir uns versehen, treffen wir in Portomarín ein. Dieser Ort wurde in den 60ern völlig neu erbaut, da man seinen Vorgänger im daneben liegenden Stausee versenkt hat. Nur die Kirche wurde damals komplett abgetragen und oben wieder aufgebaut. Die Motivation für diesen Aufwand ist mir allerdings ein Rätsel. Ich hätte den See nur ihretwegen angelegt, so monströs, wie dieser enorme Klotz ist.

der 100-km-Stein
der 100-km-Stein

Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich hier für heute schon heute Schluss mache und zögere in der Herberge noch ein wenig (→ SV), während Brigitte sich bereits häuslich einrichtet.
Der einsetzende Regen nimmt mir dann die Entscheidung ab, und ich niste mich im Etagenbett neben Brigitte ein. Danach lasse ich sie dann erst mal in der Herberge zurück.
Den ersten Hamburger (also den essbaren) des Weges, bestelle ich mir in einem kleinen Bistro. Geliefert wird er allerdings aus einer der anderen Bars. Er wurde von der Bedienung telefonisch bestellt, und der Überbringer serviert ihn mir durch die Haustür an meinen Tisch.
Später sitze ich wieder mit Brigitte in einer anderen Bar (davon gibt’s hier verdächtig viele) und führe mit ihr recht intensive Gespräche über das Leben daheim.
Irgendwann beschließen wir, dass es mal wieder, wie schon in León, eine Pizza geben könne.
Die Pizzeria verfügt über eine große Fensterfront zur Fußgängerzone hinaus. Und so ergibt es sich, dass jeder vorbeiziehende Pilger, der unsere Gesichter kennt, sich kurze Zeit später an unserm Tisch wieder findet. Dies nimmt nach einiger Zeit eine solche Form an, dass wir noch weitere Tische dazu stellen müssen. Am Ende sitzen schätzungsweise 16 Leute an einer keinen Tafelrunde sowie an Nebentischen. Darunter auch so gern gesehene Personen wie Daniel und Fabienne. Letztere setzt sich zu meiner Linken. Wie auch schon die letzten Male stecken wir sofort wieder in Gesprächen, die von einer Chemie und demselben Humor geprägt sind.
Wir verbringen alle einen sehr angenehmen und angeregten Abend in diesem Restaurant.

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