Camino Francés (Tag 31)

 

Palas de Rei → Arzúa


 → 30,5 Kilometer
↑ 269 Meter

Samstag, 31.05.2008

 

alte Römerbrücke vor Melide
alte Römerbrücke vor Melide

Bereits gegen 6:30 Uhr bekomme ich mit, wie Fabienne sich sehr leise und rücksichtsvoll startklar macht und binnen kurzer Zeit aufbricht. Ich beschließe, noch etwas liegen zu bleiben, zumal ich mir vorstellen kann, dass sie auch ganz gern mal wieder allein laufen will. Brigittes Start warte ich ebenfalls noch ab, ehe ich mehr oder weniger zeitgleich mit Christine aufstehe, aber noch vor ihr losziehe.
Während man sich bisher immer fragen musste, ob man diese Menschen jemals wieder sehen würde, gibt es diesem Fall eine gewisse Sicherheit: Wir haben uns alle am 02. Mai um 17:00 Uhr vor der Kathedrale in Santiago verabredet. Und während für mich zwischenzeitig feststeht, dass ich nach Santiago den Weg noch Richtung Finisterre fortsetzen werde, ist Fabienne noch am Überlegen. Sie hat ihren Rückflug noch nicht gebucht, und da sie Studentin ist, verfügt sie über einen gewissen zeitlichen Spielraum.
Obwohl in den heimischen Gefilden für mich das Fahrrad so ziemlich das Verkehrsmittel Nr. 1 ist, kann ich dieser Art von Fortbewegung hier auf dem Camino so gar nichts abgewinnen. Die Landschaft und die Orte ziehen viel zu schnell an einem vorüber. Bekanntschaften mit Fußpilgern sind grundsätzlich sehr flüchtig, und überhaupt hat das mit dem Pilgern doch nur sehr wenig zu tun. Aber nun fällt mir noch ein weiterer sehr gravierender Nachteil ein: Die Radpilger, die heute an mir vorbeiziehen, kommen, wenn sie gut unterwegs sind, auch noch heute in Santiago an. Kein wirklich schöner Gedanke! Und als mir bewusst wird, dass der Weg und damit diese Zeit auch für mich in ein paar Tagen zu Ende sein wird, fängt die Umgebung in meinen Augen für kurze Zeit an zu verschwimmen.

Auf dem Weg zum Frühstücksort überhole ich Brigitte, die gerade mit zwei anderen Damen unterwegs ist. Da mein Tempo ein etwas anderes ist, bittet Brigitte mich, im nächsten Café auch einen Platz für sie freizuhalten. Wie sich herausstellt, gehört die Bar, die ich dann betrete, zu einer sehr urigen Herberge, in der ich mal wieder auf die Norwegerinnen treffe. Bevor diese aufbrechen, führen sie mich noch kurz in ihre Schlafgemächer und zeigen mir ganz stolz, in was für einer tollen Unterkunft sie die letzte Nacht verbracht haben. Und ich muss ihnen definitiv Recht geben. Alles ist sehr urig und liebevoll ein- und hergerichtet. Dies spiegelt sich auch in der Bar wieder, in der ich mich dann an mein Frühstück mache, welches ich bis zum Schluss allein genieße. Auch im weiteren Verlauf ist von Brigitte keine Spur. Dafür holt mich Christine ein und ich ziehe mit ihr gemeinsam weiter. In Melide suchen wir eine Pulpo(Tintenfisch)-Bar auf, da diese Stadt für dessen Zubereitung sehr bekannt ist (→ SV).
Die aufgrund der verbleibenden letzten 100 km befürchtete Pilgerschwemme bleibt komplett aus. Im Gegenteil. Es scheint eher weniger geworden zu sein. Und es wirkt beinahe so, als sei man fast nur noch unter guten Bekannten unterwegs. So treffen wir auch in dieser Bar auf viele vertraute Gesichter. Darunter die Mexikanerin (waren wohl schon wieder mehr als 15 km…) und Daniel, der mich irgendwann fragt, ob wir einen Teil des weiteren Weges zusammen laufen wollen. Christine fragt, ob sie sich da mit einklinken dürfe, und so marschieren wir zu dritt los.
Nachdem mich inzwischen schon mir völlig unbekannte Pilger grinsend auf ein Feuerzeug ansprachen, dass Daniel überall herumzeigt, weil die Figur darauf mir angeblich so ähnlich sieht, ist es an der Zeit dieses beschlagnahmen. Er gibt es mir schmunzelnd mit den Worten, er wollte es mir eh schenken.
Wie eigentlich immer ist man fortwährend angeregte in interessante Gespräche vertieft, die auch zwischen mir und Christine mit Rücksicht auf Daniel auf Englisch stattfanden.

nicht der schönste Ort auf dem Camino: Arzúa
nicht der schönste Ort auf dem Camino: Arzúa

Dank der SMS-Kommunikation zwischen Christine und Fabienne erfahren wir, wo diese und noch einige weitere Bekannte für heute untergekommen sind, und wir steuern diesen Ort ebenfalls an. Allerdings ziehen wir aufgrund eines Missverständnisses in eine parallel gelegene Herberge ein (→ SV). Als wir uns gerade alle vor unserem Domizil treffen, steht nach kurzer Zeit auch Brigitte plötzlich vor mir. Sie hatte sich am Morgen extrem verlaufen und so eine stattliche Ehrenrunde gedreht. Sie wirkt wie ausgewechselt. Alle Niedergeschlagenheit scheint plötzlich von ihr genommen. Die Erklärung dafür ist um die 70 und steht direkt neben ihr. Dementsprechend belebt ziehen die Beiden dann auch ziemlich schnell wieder von dannen.
Der Rest von acht Personen macht sich auf zum gemeinsamen Pilgermenü in einem nicht all zu weit gelegenen Restaurant. Im Anschluss machen Fabienne, Christine und ich kurz einen Supermarkt unsicher und setzen uns noch für eine ganze Zeit zu dritt in die Bar unserer Herberge. Irgendwann verrät mir Fabienne, dass sie jetzt ihren Flug gebucht hat, und zwar für Sonntag den 08. Juni, da auch sie nun noch bis nach Finisterre laufen will.
Kurze Zeit später macht sie sich auf in ihre Unterkunft. Christine und ich sitzen noch eine ganze Weile da und führen eine Unterhaltung, die weit über den auf dem Camino ohnehin seltenen Smalltalk hinausgeht.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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