Camino Nordfrankreich (Tag 07)

 

Gueberschwihr → Guebwiller


 → 17 Kilometer
↑ 325 Meter

Freitag, der 20.07.2012

 

Unterkunft in Gueberschwihr
Unterkunft in Gueberschwihr

Meine Gastgeberin hat den Frühstückstisch im Ess- und Wohnraum bereits gedeckt, als ich diesen betrete. Dort stehen für mich, das obligatorische Weißbrot sowie zwei Sorten Marmelade und eine große Kanne Kaffee bereit. Sie weist mich kurz ein und verschwindet direkt darauf wieder. Und so sitze ich allein an dem großen Tisch und finde es fast ein wenig schade, dass meine Gastgeber mich weitestgehend in Ruhe lassen. Nun bin ich morgens dafür normalerweise auch eher dankbar, aber da ich in diesen Tagen ja nun nicht gerade von Menschen belagert werde, hätte ich es doch als willkommene Abwechslung gesehen.
Kurz nachdem ich fertig bin, entrichte ich noch meinen Obulus und es dauert nicht mehr lange, und ich treffe wieder auf den Camino. Dieser führt weiterhin am Hang eines Berges entlang durch bewaldetes Gebiet. Die Bäume sind es auch, die mich noch eine ganze Zeit vor dem inzwischen recht starken Regen schützen, ehe ich dann doch meinen Poncho überwerfen muss. Trotzdem fühle ich mich ungewöhnlich ruhig und ausgeglichen. Zunächst führe ich dies darauf zurück, dass ich ganz gut geschlafen habe, aber dann erkenne ich, dass das wohl doch eher mit dem Wetter zusammenhängt. Die absolute Windstille und die milden Temperaturen sorgen für eine sehr angenehme Atmosphäre.

Soultzmatt
Soultzmatt

Als ich so gegen 11:30 Uhr Soultzmatt erreiche, hat auch der Regen aufgehört.
Der Ort ist eher unscheinbar – erst recht bei diesem Wetter. Aber er soll über eine besondere Quelle verfügen, bei der ich nach Möglichkeit meinen Wasservorrat auffüllen werde.
Ich passiere einen Brunnen, an dem es aber leider keinen Hinweis darauf gibt, ob das Wasser trinkbar ist oder nicht (→ SV). Also frage ich in einem Kiosk daneben und ernte ein Kopfnicken. Also fülle ich meine Flaschen auf und verlasse den Ort wieder. Bis zu meinem heutigen Ziel ist es nicht mehr allzu weit.
Gleich hinter Soultzmatt tauche ich wieder in einen dichten Wald ein. Zu meiner Rechten stehen im Abstand von ca. 200 Metern alte steinerne Kreuze. Sie weisen alle Daten aus dem späten 18. Jahrhundert auf. In ihrer Mitte sind unterschiedliche religiöse farbige Bilder zu sehen.
Weiterhin bin ich von einer angenehmen Gelassenheit erfüllt. Eigentlich fehlt jetzt nur noch ein Pilgerstab, um diese Entschleunigung zu unterstreichen. Zumindest bis an mein heutiges Ziel. Länger wäre wahrscheinlich auch nicht praktisch, da ich sonst die nächsten Tage andauernd damit beschäftigt wäre, irgendwo umdrehen zu müssen, weil ich ihn wieder mal habe stehen lassen.
Und wie der Camino manchmal so ist, dauert es nicht lange, und ich halte ein würdiges Exemplar in meinen Händen. (In diesem Augenblick ahne ich noch nicht, dass ich in ein paar Wochen am Flughafen 20,- € zahlen werde, damit dieser treue Gefährte heil mit mir zurück nach Hamburg kommt, ich eines Tages mit der Bahn einen Umweg über Bremen fahre, weil ich ihn dort eine Woche zuvor habe stehen lassen, und er sich auch noch über 10 Jahre später in meinem Besitz befinden wird!)

Guebwiller
Guebwiller

Es dauert nicht mehr lange, und ich gucke auf die Häuser von Guebwiller hinunter. Die Stadt ist relativ groß. Und es mangelt an nichts.
Nur wenige Minuten später stehe ich vor dem Tor der ersten und wohl auch einzigen Pilgerherberge (→ SV) dieses Caminos. Und es ist verschlossen. Auf einem Schild sehe ich, dass sich das erst um 17:00 Uhr ändert.
Bis dahin sind es aber noch ein paar Stunden! Dann ist wohl Zeit für eine weitere Stadtrunde und einen Ankuftstrunk.
Gegen 15:00 Uhr komme ich noch mal an der Herberge vorbei. Und siehe da: Es tut sich etwas. Ein kleiner Transporter verlässt gerade rückwärts das Gelände. Hinterher geht jemand, der sich mir kurz darauf als Herbergsvater vorstellt. Als ich kleinlaut bemerke, dass es ja noch nicht 17:00 Uhr sei, bittet er mich, aufs Gelände zu kommen. Auf Deutsch.
Ich folge ihm durch den Garten und wir betreten eine bis eben noch nicht sichtbare Hütte. Sie ist aus Holz, an eine Hauswand gebaut und hat zwei Etagen. Zunächst befinden wir uns in einem Raum mit Essecke und einer einfachen Küche. Durch eine Schiebetür betritt man die sanitäre Anlage. Sie besteht aus einer Toilette, Dusche und einem kleinen Waschbecken.
Er erzählt mir kurz, dass auch er den Camino gelaufen sei – allerdings kam er nur bis Galizien, da seine Mutter damals einen Schlaganfall hatte. Dann bittet er mich, meine Schuhe auszuziehen, und wir klettern über eine schmale Treppe ins Obergeschoss in den Schlafraum. Hier stehen zwei Etagen- und ein Feldbett. Er meint, dass ich mir eines aussuchen könne. Er müsse jetzt noch mal weg und käme dann so gegen 17:00 Uhr wieder. Bis dahin könne ich es mir gern gemütlich machen. Unter anderem sei draußen eine mit Wasser gefüllte Wanne, in der einige Bierflaschen zur freien Verfügung schwimmen. Das Angebot nehme ich sehr gern an und setze mich dann mit einer dieser Flaschen auf eines der unteren Etagenbetten. Draußen hat es sich inzwischen hörbar eingeregnet. Deshalb mache ich es mir in meinem Bett gemütlich. Ich gucke eine Folge X-tra3, bereite eine Mail vor und lese etwas in meinem Wanderführer.
Mein Gastgeber taucht erst so gegen 18:30 Uhr wieder auf und muss mir zudem gestehen, dass er es jetzt gar nicht mehr geschafft habe einzukaufen. Aber er sagt, dass es hier direkt nebenan einen Dönerladen gäbe. Er würde mir aber auch sein Fahrrad zur Verfügung stellen, wenn ich mir noch etwas besorgen wolle. Wir unterhalten uns noch eine Weile. Er erzählt mir, dass er in der letzten Nacht auch einen Pilger hatte – ebenfalls aus Hamburg. Aha!? Außerdem erfahre ich, dass dieser Camino gerade mal von ein paar hundert Pilgern im Jahr gelaufen wird. Die kann der Camino Francés bereits an manchem Tag vorweisen – an einem Ort! Interessant ist auch, dass die Renate Florl hier bereits Station gemacht hat. Das ist niemand geringeres als die Dame die mich täglich über den Weg informiert und nicht selten als Mittel gegen Langeweile dient!
Als er wieder geht, fragte er mich noch, was ich denn gern frühstücke. Er würde dann damit morgen früh wiederkommen, dann hätten wir auch etwas mehr Zeit, uns zu unterhalten.
In einer kurzen Regenpause besorge ich mir im besagten Dönerladen etwas zu Essen. Das Angebot hier ist ungewöhnlich groß! Damit mein Abendessen wenigstens ein Hauch französische Esskultur hat, entscheide ich mich für einen Döner-Fromage und vertilge ihn kurz darauf in der Essecke der Küche. Dazu gibt es einen Weißwein aus dem Kühlschrank.
Danach vertreibe ich mir die Zeit mit dem Gästebuch. Darin befinden sich glücklicherweise auffällig viele deutsche Einträge. Alle schreiben von dieser urigen Unterkunft und dem sehr freundlichen Gastgeber. Aber es haben auch erstaunlich viele festgehalten, dass draußen gerade die Welt untergeht.
Damit es nicht so still ist, schmeiße ich die Musik von meinem iPhone an. Darauf befinden sich einige tausend Titel. Von daher finde ich es schon eindrucksvoll, dass sich die Zufallswiedergabe als erstes Stück die Filmmusik von „Dein Weg“ heraussucht. Und während ich dieser lausche, geht draußen die Welt unter.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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