Camino Nordfrankreich (Tag 08)

 

Guebwiller → Thann


 → 23 Kilometer
↑ 336 Meter

Samstag, der 21.07.2012

 

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Wie versprochen, begrüßt mich mein Gastgeber heute Morgen mit diversen herzhaften Zutaten für das gemeinsame Frühstück. Wir kommen ins Gespräch, und so erfahre ich, dass er lange Zeit als selbständiger Grafiker tätig war. Eines Tages übergab er die Firma an seine Mitarbeiter und machte sich auf den Camino.
Heute ist er wieder selbständig: mit einer Videoproduktion. Als ich ihm erzähle, dass wir damit sehr ähnliche Berufe und Interessen haben, wird mein frühzeitiger Aufbruch zur Utopie.
Aus den Resten vom Frühstück soll ich mir Proviant fertig machen. Für den Stempel gehen wir ins Haupthaus, wo Christophe mir außerdem ganz stolz sein Equipment und sein Studio zeigt.
Wie sich herausstellt, besitzt er gar keinen Stempel. Stattdessen zeichnet er einen Brunnen in meinen Pass. Hintergrund: Er ist auch bekannt als der “Brunnenputzer”. Ähnlich wie Schornsteinfeger, war er eine Zeit lang hier in der Region unterwegs, um bei Anwesen, die Brunnen zu reinigen. Er hat offenbar ein sehr buntes Berufsleben.
Zeit fürs Zahlen. “Gib mir 10,- €.” sagt er, nimmt das Geld und erweitert seinen ohnehin überdurchschnittlichen Service noch, indem er zu seinem Handy greift und versucht, eine Bleibe für die nächste Nacht ausfindig zu machen. Aber mit jedem Telefonat wirkt er verzweifelter. Und obwohl er eigentlich langsam zur Taufe seines Neffen muss, gibt er sich noch nicht geschlagen. Am Ende nennt er mir dann 2 Möglichkeiten: einen etwas abseits des Caminos gelegenen Campingplatz, der aber gerade mal 14 km entfernt ist, und ein Kloster in knapp 40 km. Letzteres käme natürlich eher in Frage, wäre es nicht schon so spät.
Um 10:30 Uhr breche ich dann auf. Es ist trocken. Noch! Die Wolken vor mir sind so dermaßen schwarz, dass es wirklich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich den Poncho wieder überwerfen muss.
Das gut 4 km entfernte Jungholtz erreiche ich noch trockenen Fußes. Und die kurz dahinter gelegene Basilique Notre-Dame de Thierenbach erstrahlt sogar noch mal im Sonnenlicht vor schwarzem Hintergrund. Ich gucke mir die Kirche kurz von drinnen an, und dann gilt es schleunigst, eine überdachte Terrasse aufzusuchen, die zu einem kleinen Lokal gehört, das direkt an dem Weiher neben der Kirche liegt. Es ist geschlossen. Aber ich bin ja gut versorgt!

Jungholtz
Jungholtz

Es vergeht gut eine halbe Stunde, und der Regnen will einfach nicht weniger werden!
Es nützt nix! Ich muss langsam mal weiter! Also Poncho drüber und los!
Beim erneuten Studieren meines Wanderführers entdecke ich, dass es in Thann, mein ursprüngliches Wunschziel für heute, doch eine Herberge gibt. Wieso wusste Christophe nichts davon?
Das ist doch optimal!
Der Regen stört mich gar nicht so sehr. Zum Einen macht mein Poncho einen ganz guten Job, und zum Anderen laufe ich durch ausgedehnte Waldgebiete. Und irgendwie hat diese Regenstimmung im Wald auch was. Logischerweise ist kein anderer Mensch unterwegs. Das Einzige, das es auf dieser Strecke außer Bäumen zu sehen gibt, sind verfallene Bunkeranlagen aus dem 1. Weltkrieg.
Wirklich unangenehm ist aber, dass die Wegweiser plötzlich aussetzen. Es gibt diverse Verzweigungen und es ist ungewöhnlich dunkel. Ich versuche verschiedene Richtungen. Aber immer wieder ende ich im Dickicht. So ein Mist! Auch auf meiner digitalen Karte lässt sich nicht erkennen, wo mein Weg verläuft, aber immerhin die Richtung. Also bahne ich mir meinen Weg querfeld- oder besser waldein. Die Büsche und Sträucher werden immer dichter. Hin und wieder muss ich kleine Hänge hinunter. Überhaupt wird es hier immer abschüssiger. Außerdem zeugen alte Zäune davon, dass das hier nicht unbedingt ein Wandergebiet ist. Und auch, wenn ich in die richtige Himmelsrichtung laufe, zweifle ich langsam daran, dass ich am Ende wieder irgendwo auf einen, geschweige denn meinen Weg zurück komme. Doch nach einem weiteren abenteuerlichen Zickzackparkour, komme ich endlich an den Waldrand und stoße auf so etwas wie einen Weg. Ich blicke zu meiner Linken wieder ins weite Land hinunter. Das ist zwar sehr hübsch, zumal sich da ziemlich spannende Wetterszenarien abspielen, es bedeutet aber auch, dass hier gleich an einem steilen Hang plötzlich Schluss sein kann!
Irgendwann stoße ich dann doch endlich auf einen richtigen Weg, der ins Tal führt. Aber vor allem entdecke ich das lang vermisste gelb/blaue Symbol an einem Baum. Immer wieder ein wunderbarer Anblick!
Thann ist nun nicht mehr weit.

Thann
Thann

Kurz hinter der imposanten Kathedrale dieser kleinen Stadt, muss ich noch eine Wohnstraße hinauf, und dann stehe ich vor der Gîtes d‘étape (→ SV). Laut Wanderführer soll die Nacht gerade mal bei 8,- € liegen. Ich werde hier allerdings keinen Cent lassen. Nun fällt mir auch wieder ein, warum Christophe diese Unterkunft nicht auf seiner Liste hatte: Sie ist aktuell im Umbau.
Die beiden Damen im Office du Tourisme (→ SV) enttäuschen mich auch hier nicht. Zumindest, was es ihre Hilfsbereitschaft angeht. Der trotzdem ausbleibende Erfolg lässt mich hingegen schon etwas resignieren. Sie finden nur 3 reguläre Hotels, von denen gerade mal eines passable Preise hat. Aber der Anruf mündet in einer Diskussion. Die aktuellen Zahlen entsprechen eindeutig nicht mehr denen im Katalog. Sie debattiert wirklich leidenschaftlich, schüttelt immer wieder den Kopf und wendet sich an ihre Kollegin. Diese nimmt sich noch mal die Seite der Unterkunft vor und wirft immer wieder etwas ein. So geht das eine ganze Weile, ehe sie das Gespräch verständnislos beendet. Die Preise in den Unterlagen sollen angeblich nur die für Kinder sein. Es tut ihnen sehr leid. Das Einzige, das nun noch übrig bleibt, ist der Campingplatz. Der liegt allerdings etliche Kilometer zurück. Ich könnte aber die Bahn dorthin nehmen.
Also ziehe ich zum Bahnhof und informiere mich über die Tickets und Fahrzeiten. Die Züge fahren alle 30 Minuten und die letzte ist gerade durch. Es gibt da vielleicht noch eine Möglichkeit für die Übernachtung. Ich begebe ich mich noch mal zur Gîte, um mir das Gelände mal genauer anzusehen. Wenige Minuten später stehe ich mitten in dem Gebäude, in dem es irgendwann mal wieder Betten geben soll. Aber jetzt ist hier alles Rohbeton, feucht und zugig.
Nein. Hier möchte ich dann doch nicht in meinem Schlafsack in irgendeiner Ecke kauern. Da bekomme ich ja kein Auge zu und hole mir sonst was weg! Noch gebe ich mich aber nicht geschlagen und sehe mich draußen weiter um. Es gibt da nebenan noch so etwas wie ein Schulungszentrum. Vor dem ersten Stock führt ein überdachter Laubengang entlang, den ich über eine Außentreppe erreiche. Perfekt! Das wird mein Schlafzimmer für diese Nacht!
Da morgen Sonntag ist, werde ich hier wohl kaum mit großen Überraschungen rechnen müssen. Und selbst wenn hier jemand aufkreuzt, gehe ich mal davon aus, dass ich ohne Probleme auf Verständnis stoßen würde.
Wie schon so oft, sind es die Ausnahmesituationen, die mich eher euphorisieren als frustrieren.
Dann gilt es jetzt nur noch, irgendwo etwas zu essen und ein paar Besorgungen zu machen.
In einem recht einfachen, aber gemütlichen Restaurant bestelle ich mir eine sehr gute Pizza. Gleichzeitig nutze ich die Gelegenheit, mein Handy nochmal zu laden, denn dazu werde ich heute Nacht wohl eher nicht kommen.
Gegen 20:00 Uhr denke ich, dass es langsam spät genug ist, mich in meinem neuen Domizil niederzulassen. Ich rolle meine Isomatte und meinen Schlafsack aus. Außerdem lege ich noch den Poncho bereit, falls die Überdachung bei Regen nicht reichen sollte. Als alles soweit präpariert ist, schmeiße ich mein Hörbuch an und öffne die erste Dose Bier. Großartig!
Einige Zeit später fährt plötzlich ein Auto auf das Gelände und hält etwas abseits, aber in meiner Sichtweite. Ein Mann steigt aus und läuft umher. Aber anstatt zu mir blickt er nur auf den Boden. Offenbar sucht er etwas. Es steigen noch zwei Kinder aus und schließen sich seiner Suche an. Irgendwann schmeißt der Mann zwei Eisenstangen in seinen Kofferraum, ruft seine Kinder wieder zu sich und fährt davon.
Ich öffne die zweite Dose und widme mich wieder meinem Hörbuch.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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