Camino via Podiensis (Tag 08)

 

Saint-Côme-d’Olt → Estaing


 → 20 Kilometer
↑ 65 Meter

Mittwoch, der 14.07.2010

 

Espalion
Espalion

Irgendwann in der Nacht müssen sich auch noch die anderen Betten gefüllt haben. Aber es hat weithin keiner Anspruch auf das meine erhoben. Und zum Kassieren ist auch keiner mehr gekommen.
Bevor ich die Stadt verlasse, will ich noch ein paar Bilder von ihr machen. Nur leider muss ich feststellen, dass es vom Licht her noch zu früh ist, so wie es gestern Abend bereits zu spät war.
Dafür treffe ich Jennifer. Sie hat in einer anderen Herberge übernachtet und wartet gerade auf einen Bekannten. Sie verrät mir, wo Sie die nächste Nacht verbringen möchte. Es handelt sich um ein Kloster in dem Ort, den auch ich als mein wahrscheinliches Ziel sehe. Während sie kurze Zeit später mit ihrem Begleiter aufbricht, drehe ich noch eine weitere Runde durch den Ort, ehe auch ich mich wieder auf den Camino mache. Dieser führt eine ganze Zeit lang an einem Fluss entlang und zieht dann plötzlich und anhaltend einen Berg hinauf. Diese Stelle hatte ich im Wanderführer ganz überlesen. Oben angekommen umrunde ich plötzlich einen kleinen Vulkankrater, und auf dessen anderen Seite eröffnet sich ein wunderbarer Ausblick auf die Espalion, in der es endlich mein Frühstück geben wird.

Espalion
Espalion

Vorher zieht es mich noch einen steilen Pfad hinab und vorbei an einer malerischen Kirche. Kurz darauf sehe etwas abseits die Asiatin sitzen. Sie winkt mir in ihrer etwas introvertierten Art kaum merklich zu.
Es geht wieder am Fluss entlang ins Stadtzentrum von Espalion. Ich habe dies gerade erreicht, da treffe ich auch schon wieder auf Jennifer. Wir tauschen uns kurz aus, und dann gilt es, etwas Essbares zu finden. Das stellt sich aber als erstaunlich schwierig heraus! Es gibt zwar diverse Bars, aber die haben entweder nur Süßes oder richtige Mahlzeiten. Als ich in einer von ihnen nachfrage, wo ich denn eine Chance auf eine Art Frühstück hätte, weist der Wirt mich auf eine Bäckerei hin, und als er meine fast leere Flasche sieht, fragt er mich, ob er sie auffüllen soll. „Ja, sehr gern!“
Bei der Bäckerei gibt es leider nur reine Brote. Also kaufe ich ein Baguette und in einem Supermarkt etwas Kräuterkäse. Außerdem gibt’s noch eine Art Quiche, die eher einer kalten Pizza gleicht, aber sehr gut ist. Alles zusammen vertilge an der Straße auf einem Mauersims sitzend. Danach behebe ich noch in der Bar mit dem netten Wirt mein Kaffee-Defizit (→ SV).

Sébrazac
Sébrazac

Der weitere Wegverlauf bringt noch mal die eine oder andere Steigung mit sich, so dass die heute gerade mal angesagten 17 km sich am Ende eher wie 25 km anfühlen.
Über eine lange Steinbrücke treffe ich in Estaing ein. Es wird langsam zur Selbstverständlichkeit, dass die Städte und Ortschaften sich in einem nahezu komplett mittelalterlichen Ambiente präsentieren. So scheint auch hier bereits vor langem die Zeit stehen geblieben zu sein.
Ich mache mich auf die Suche nach dem Kloster. Als ich bei diesem eintreffe, werde ich herzlich begrüßt. Der Hausherr bietet mir zunächst etwas zu trinken an und spricht sogar ein paar Worte auf Deutsch mit mir. Und obgleich es insgesamt nur 10 vielleicht 14 Betten gibt, ist auch noch eines für mich frei.
Das Kloster verfügt über diverse Räumlichkeiten sowie einen kleinen Garten. Die Küche und der Speisesaal sind ein Raum. Hier bereiten eine der Frauen vom Kloster (ich denke, sie ist keine Nonne), ein weiterer junger Mann sowie die Asiatin, die Lio heißt und aus Paris kommt, das Essen zu. Ich schließe mich dem unter anfänglichem Protest seitens der Gastgeber an und bereite das Gemüse vor. Danach geht Lio in den angeschlossen Leseraum, in dem auch ein Klavier steht. Sie setzt sich und beginnt zu spielen. Ich geselle mich dazu und mache es mir in einem Stuhl in der Ecke des Raumes gemütlich. Nur kurze Zeit später kommt auch Jennifer herein und nimmt ebenfalls Platz, um hier ihr Buch zu lesen. Plötzlich fordert Lio mich auf, auch etwas auf dem Klavier zu spielen. Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich nie ernsthaft an einem Klavier gesessen hätte. „Dann lernst du das jetzt halt!“. Sprach’s und beginnt, mir einige Tonfolgen vorzugeben, die ich nun nachspielen soll. Es sieht nicht so aus, als hätte ich eine andere Wahl. Und so spielen wir nur kurze Zeit später ein einfaches Duett.
Sie lobt mich für mein erstes Werk und klärt mich darüber auf, dass ich soeben etwas von Mozart gespielt hätte. Ich bin begeistert – vor allem aber darüber, dass diese sonst so schüchterne und in sich gekehrte Person plötzlich so „offensiv“ ist.

Estaing am Abend
Estaing am Abend

Normalerweise lege ich ja keinen großen Wert auf die Frühstücksangebote in den Herbergen – allein schon weil es da meist nichts Herzhaftes gibt. Aber der netten Atmosphäre wegen ziehe ich das hier doch mal in Betracht. Und nachdem ich mich wieder ein wenig mit Jennifer unterhalten habe, frage ich sie, ob sie auch hier frühstücken wolle. Sie sagt, normalerweise würde sie das, aber sie wird morgen wohl runde 35 km laufen, und da will sie rechtzeitig los. Dann informiert sie mich darüber, dass am Ende dieser Etappe wieder eine sehr nette Spendenherberge sein soll, und fragt, ob ich die nicht auch ansteuern wolle. Hmm, verlockend, aber 35 km müssen es ja nun deswegen nicht unbedingt sein. Daraufhin spricht sie kurz den Herbergsvater an, fragt ihn irgendetwas und kommt mit der Info zurück, dass es da auch bereits nach 20 km eine sehr nette Unterkunft geben soll. Von daher spricht nichts mehr dagegen, hier zu frühstücken.
Ich habe das leise Gefühl, dass das morgen kein Alleingang wird.
Später beim gemeinsamen Abendessen sitze ich an der langen Tafel zwischen Lio und Jennifer, wobei ich realisiere, dass ich hier, bis auf zwei Ausnahmen, heute Hahn im Korb bin.
Obwohl es freiwillig ist, begeben sich alle im direkten Anschluss zum gemeinsamen Gebet in die Kapelle im Nebenraum. Danach frage ich Jennifer, ob sie mit mir runter an den Fluss kommen möchte, da dort irgendeine Lichtshow stattfinden soll. Sie ist begeistert, und wir machen uns auf den Weg. Auf der Brücke und der gegenüberliegenden Seite haben sich bereits eine Menge Menschen postiert. Interessanterweise treffe ich hier auch wieder auf das ältere Paar von gestern Abend. Außerdem spricht mich eine junge Frau an, die mich darüber aufklärt, dass wir wohl die letzte Nacht in derselben Herberge verbracht hätten. Sie will wissen, woher ich komme, und wir unterhalten uns kurz.
Dann beginnt das Spektakel. Wie sich herausstellt, wird über Lautsprecher offenbar die Geschichte des Ortes erzählt – natürlich auf Französisch. Dazu wird klassische Musik gespielt und die aus der Stadt heraus ragende Burg in verschiedenen Farben illuminiert.
Danach geht es wieder zurück ins Kloster und auch ziemlich bald darauf ins Bett.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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