Camino del Norte (Tag 16)

 

Llanes → San Esteban de Leces


 → 38,3 Kilometer
↑ 117 Meter

Dienstag, der 07.07.2009

 

Wegweiser
Wegweiser

Wie gestern morgen ist es auch heute leicht verregnet, und ich starte abermals allein. Dementsprechend ist meine Stimmung leicht verhalten. Ich will noch nicht unbedingt von Frust sprechen, aber ich sehne mich schon ein wenig nach einem kleinen Highlight bzw. nach neuen, netten Bekanntschaften. Aber ein wenig Sonne würde es auch schon tun.
Beim Frühstück in einer netten Bar im nächsten Ort bestätigt es sich wieder: Es lohnt sich wirklich nicht, sich die Zutaten für ein Frühstück selbst zusammenzukaufen. Für 3,50 € bekomme ich zwei sehr lecker belegte Sandwiches und den Kaffee. Auf dem obligatorischen Plasma an der Wand laufen aktuelle Bilder vom Stiertreiben in Pamplona. Da scheint offenbar die Sonne! Aber trotzdem möchte ich da jetzt nicht durch, da die ganze Stadt offenbar im Ausnahmezustand ist.
Man bekommt ja so einiges Positive über die Spanier zusammen: Sie sind gastfreundlich, kriegen einen tollen Café con leche hin. Bocadillo, Tapas, Tortillas und Wein stehen auch ganz weit oben! Aber manche haben auch eindeutig ganz schön einen an der Waffel! Und diese ganzen Stier-Aktionen sind doch echt das Letzte!
Der Weg streift auch heute wieder die eine oder andere menschenleere Bucht und führt weiterhin immer wieder mal bergauf und gleich wieder bergab. Manchmal bin ich verblüfft darüber, dass ich im einen Augenblick noch von oben über das weite Meer und AUF eine Fernstraße sehen kann, die sich auf Stelzen in stattlicher Höhe befindet, und dann laufe ich nur wenige Minuten später unter eben dieser Autobahn hindurch.
Ebenfalls sehr surreal kommen einem die weiterhin fast menschenleeren, teilweise kilometerlangen Strände vor. Bestenfalls entdecke ich mal einen Spaziergänger mit seinem Hund.
Unterwegs komme ich an der Ruine eines ehemaligen Klosters vorbei, die sich etwas abseits der Straße auf einer Wiese am Fuße eines Berges befindet. Ich überlege kurz, ob ich die Anlage mal aus der Nähe erkunde, belasse es bei einem Foto aus der Ferne.
Die heutige Gesamtstrecke wird nach aktueller Planung gerade mal 20 km betragen. Damit besteht schon wieder akute zu-früh-ankomm-Gefahr. Also gilt es, in einem weiteren Dorf in ein kleines Café einzukehren. Das Bocadillo lässt zwar etwas auf sich warten, aber zu Recht, denn es ist frisch aufgebacken.
Während ich so dasitze, beschließe ich, meine heutige Etappe auf eine 10 km weiter entfernte Herberge auszuweiten. Zwischendurch ziehen noch die beiden mir bereits bekannten jungen Spanier vorbei.
Bei einem Blick auf meine Uhr stelle ich fest, dass es eine sehr gute Entscheidung ist, die heutige Etappe noch etwas zu strecken: Es ist gerade mal 12:00 Uhr! Dementsprechend passiere ich die ursprünglich angedachte Herberge gegen 13:00 Uhr. Sie liegt rechts von mir auf einem Hügel neben einer Kirche. Sehr idyllisch aber nichts für eine frühe Ankunft!
Ich selbst laufe im Storchenschritt über eine kniehohe Kuhwiese, deren matschiger Untergrund nicht genauer untersucht sein will! Ebenfalls nicht so sympathisch ist, dass es hier einfach keinen offiziellen Weg mehr gibt. Und so wird der nicht vorhandene Pfad immer abenteuerlicher. Ich wate mitten durch verdutzt glotzende Kuhherden und dornige Gestrüppe, bevor ich dann endlich über einen Zaun hinweg zumindest wieder einen richtigen Weg erreiche, der sogar nach einigen Metern wieder Muscheln aufweist.

Ribadesella
Ribadesella

Die nun noch verbleibenden 10 km ziehen sich erstaunlich hin! Als ich endlich das ebenfalls touristisch anmutende Ribadesella erreiche, muss ich mich noch ans andere Ende der Stadt durchfragen, bis ich die direkt am Strand gelegene Unterkunft erreiche. Mit in dem Gebäude, das so gar nicht darüber informiert, dass es sich um eine Herberge handelt, ist eine Wassersportschule untergebracht.
Ich habe jetzt gute 30 km hinter mir und nur noch den einen Wunsch, dass meine heutige Etappe hier ihr Ende findet! Im Grunde war das letzte Stück durch diese kleine Hafenstadt schon mehr, als ich noch zu laufen gewillt war. Also betrete ich das Gebäude über den Vordereingang, um es dann nur gute 30 Sekunden später über den Hinterausgang wieder zu verlassen. Das, was die Herbergsmutter da von sich gab war halt lediglich ein „alles voll“ und über den Hinterausgang komme ich schneller wieder Richtung Camino.
Ich kann und will nicht mehr – jedenfalls nicht sofort. Ich muss erst mal Pause machen und etwas Richtiges essen. Die nächste Herberge soll ca. 7 recht bergige km entfernt sein.
Also begebe ich mich auf Restaurantsuche und werde in unmittelbarer Nähe fündig.
Weiteres Glück im Unglück: Der „Kräuterspanier“ sitzt zusammen mit einer mir unbekannten Pilgerin mittleren Alters davor, und scheint ebenfalls gerade gegessen zu haben. Ich setzte mich dazu und befrage ihn, was er denn empfehlen könne. Und so stellt sich mein Menu del Dia aus einem der üppigen Salat als Vorspeise, Fisch und Pommes als Hauptgericht sowie einem Schokoladenkuchen als Nachtisch zusammen.
Die Frau ist eine (nur) französisch sprechende Belgierin, und da auch der Spanier nur seiner Sprache mächtig ist, basiert unsere Unterhaltung lediglich auf einem Vokabelmix und Zeichensprache.
Auf diese Weise erfahre ich dann auch, dass die Beiden das gleiche Schicksal erleiden wie ich.
Als wir gemeinsam aufbrechen, zeigt der Spanier mir noch, wo der Weg zum Camino zurückführt. Also ziehe ich voraus und folge seinem Hinweis.
Nach ca. einem Kilometer, der bereits schon wieder gut bergauf geht, macht es mich doch langsam stutzig, dass ich bislang noch keinen Wegweiser gefunden habe.
Weitere 2 km liegen hinter mir, als ich einen Ort erreiche, der sich auf einem kleinen Bergkamm befindet. Nun weiß ich aus dem Wanderführer, dass mein aktuelles Ziel sich ebenfalls auf einem Berg befindet – allerdings direkt am Meer. Da sich aber zwischen mir und dem Wasser noch ein Gebirgszug befindet, und ich immer noch keine Wegweiser aufgespürt habe, steuere ich drei Frauen an, die vor dem Eingang eines Hauses stehen.
Eine von ihnen kann sogar englisch. Und sie bestätigt mir, dass ich falsch bin – und zwar so sehr, dass sie mir anbietet mich zur Herberge zu fahren. Nein, Danke!
Also bitten sie mich ins Haus, das offenbar ein Museum ist.
Als sie anfängt mir den weiteren Verlauf des Weges auf einen Zettel zu malen, fällt mir die überdimensionale Karte hinter ihr an der Wand auf. Sie zeigt die Umgebung inklusive meines Zielortes. Also unterbreche ich sie, mache ein Foto von dieser Karte und bedanke mich recht herzlich. Die Drei amüsieren sich fasziniert über die Idee mit meiner jetzt digitalen Karte und ich mache mich auf die noch verbleibenden rund 4 km.

Getreidespeicher
Getreidespeicher

Erstaunlicher Weise vergehen diese recht schnell. Auch das Wetter zeigt sich bereits seit einiger Zeit von seiner schönen Seite. Und so erreiche ich die ehemalige Schule (→ SV), die nun hoffentlich ein Bett für mich hat, weniger erschöpft, als ich es noch vor einer Stunde vermutet hätte. Trotzdem will und werde ich jetzt keine weiteren 15 km mehr laufen.
Also bin sehr gespannt, was die Herbergsmutter gleich sagen wird. Ich betrete einen fast leeren, großen Vorraum. Und… Die Dame an dem einfachen Holztisch nimmt sich wie selbstverständlich und sehr freundlich meines Pilgerpasses an. Geschafft!
Als sie erfährt, wo ich heute herkomme und dann noch mitbekommt, dass dies nicht gerade auf direktem Wege geschah, sagt sie nur ganz entsetzt: „Muchos kilómetros!!!“ Sie geht von 50 aus. Ich denke, knappe 40 treffen doch eher zu.
Nur wenige Minuten später wird meine scheinbar unmenschliche Leistung allerdings stark relativiert: Denn sie sind alle wieder vereint. Aller Begegnungen der letzten Tage. Bis auf Jens und Olli. Sogar die alte Französin schreitet etwas gehandicapt über den Flur. Nun ist sie allerdings auch zwischendurch gefahren. Wenn auch nicht ganz freiwillig: Sie hat wohl irgendwann eine Autobahn für den Camino gehalten. Als sie ihren Irrtum bemerkte und dem falschen Weg über die Leitplanken entkommen wollte, kassierte die Gendarmerie sie ein und brachte sie in den nächsten Ort. Dort wiederum wurde sie von anderen Pilgern in ein Taxi nach San Esteban gesetzt, weil sie doch recht erschöpft wirkte.
Aber alle anderen haben das Gleiche hinter sich wie ich – vom Umweg mal abgesehen. Das war meiner! Oder zumindest fast. Der Spanier und die Belgierin sind ja noch nicht da…
Sie treffen einige Zeit nach mir ein und sind ihrem Irrtum ebenfalls konsequent gefolgt.
Angeblich soll die Herberge so gut wie voll sein. Den Eindruck macht sie im Moment gar nicht. Dies kann allerdings auch daran liegen, dass einige Leute mit dem Bus zum Essen in den nächsten Ort gefahren sind. Denn hier gibt es nur die Schule und eine Kirche. Zum Glück hatte ich mein Menü ja bereits.
Wir sitzen alle zusammen verteilt im Garten.
Als ich kurz im Schlafraum bin, bietet mir der Kräuterspanier Wein aus seiner Lederflasche an und erzählt mir, dass er morgen, wie viele andere auch, auf den Camino Primitivo wechselt. Ich schaue mir seinen Wanderführer dazu an und bin recht angetan. Aber da ich weder eigene Unterlagen dazu habe, noch weiß, wie dieses Alternative in mein Zeitfenster passt, kommt dies nur für ein späteres Caminoprojekt in Frage.
Ich hege noch die leise Hoffnung, dass mit dem Bus eventuell auch Jens und/oder Olli eintreffen, aber es tauchen keine weiteren bekannten Gesichter auf.

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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