Straßburg → Rosheim
→ 35 Kilometer
↑ 48 Meter
Sonntag, der 15.07.2012
Obwohl das Zimmer nicht besonders groß war, und sich zudem das Fenster nicht öffnen ließ, habe ich doch erstaunlich gut geschlafen. Was aber natürlich nicht bedeutet, dass ich nicht hin und wieder mal wach geworden wäre. Das eine Mal bemerkte ich, wie der eine Zimmergenosse sich leise fertig machte, um seinen Flieger zu bekommen, der, wie er mir erzählte, bereits um 5:00 ging!
Mein anderer Bettnachbar, ein Südeuropäer um die 30, muss irgendwann nach Mitternacht zu uns gestoßen sein. Und außer einem „morning“ sowie einem „take care“, was er mir aus dem Bad mit auf den Weg gab, haben wir kein Wort gewechselt.
Es war so gegen 7:00 Uhr, als ich kurz überlegte, ob ich aufbrechen solle. Aber als ich mir klar machte, dass es an meinem Zielort laut Wanderführer außer ein paar Häusern und dem Kloster, in dem ich gern unterkommen würde, nichts weiter gibt, habe ich mich noch mal umgedreht. Nichts ist anstrengender, als bereits ab Mittag in seinem Zielort die Zeit totzuschlagen, weil es dort einfach nichts gibt, was man tun könne.
Dementsprechend ist es genau 9:00 Uhr als ich die Herberge verlasse, und ich steuere zunächst mal wieder den Stadtkern an. Das Wetter hat sich seit gestern nicht geändert. Im Augenblick hat aber die Sonne die Oberhand.
Bevor es endlich auf den offiziellen Weg geht, möchte ich doch außer dem nüchternen, kopfstehenden Stempel der Herberge noch um einen vielleicht etwas würdevolleren in der Kathedrale bitten.
Als ich den Sandsteinbau mit seinen eineinhalb Türmen betrete, beginnt gerade eine Messe – um 9:15 Uhr.
Na gut. Dann soll es ja wohl so sein. Und so ein kleiner Segen für meinen Weg kann ja auch nicht schaden.
Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte: Das dieser über 1:30 Stunden dauert! Nun sind Kirchenbesuche ja eh nicht unbedingt dafür bekannt, besonders kurzweilig zu sein – aber in einer Sprache, von der man kein Wort versteht, ist das dann schon ein kleiner “Camino” für sich!
Was allerdings meine volle Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die kräftigen Prasselgeräusche, die ihren Weg durch die schweren, hölzernen Türen zu meinen Ohren finden…
Als ich es dann geschafft habe, bitte ich einen der Kirchenbediensteten um den Stempel. Er nimmt meinen Pass und verschwindet damit kurz im hinteren Teil des Schiffes. Kurz darauf bringt er ihn mir mit einem roten, runden Abdruck, in dessen Mitte das Münster zu sehen ist, wieder. Sehr schön! Dann kann es ja jetzt endlich losgehen!
Als ich die Kirche verlasse, ist es tatsächlich wieder trocken. Aber es sieht nicht gerade so aus, als ob das so bleiben würde.
Ich strebe die Stelle an, an der ich die erste und bis jetzt aber auch einzige Muschel gesehen hatte. Von da muss mir leider erst einmal die Wegbeschreibung in meinem kleinen roten Buch weiter helfen. Obwohl darin steht, dass die Ausschilderung auf diesem Weg sehr gut sei, entdecke ich erst mal keine weiteren Wegweiser mehr. Dafür hat es inzwischen wieder angefangen ziemlich kräftig zu regnen! Ich werfe meinen Poncho über und versuche irgendwie den Weg aus der Stadt zu finden. Aber leider muss ich feststellen, dass auch die Beschreibung meines Wanderführers schnell an seine Grenzen stößt. Zum Glück habe ich mir den Weg vorher bereits als GPS-Pfad in mühevoller Detailarbeit erstellt.
Das ist zwar nicht besonders Camino-like, aber auf einem so unpopulären Abschnitt wie diesen, habe ich mich nun – wie auch schon im Winter in Portugal – doch dafür entschieden mein Smartphone mitzunehmen. Und dies bietet nun mal auch die Möglichkeit der Navigationshilfe… Genau das rettet mich bereits jetzt vor einem fatalen Irrweg! Da es nun mal keine Schilder gibt, der Weg hier noch sehr unbekannt ist – mal abgesehen davon, dass bei diesem Wetter eh kaum ein Mensch unterwegs ist – folge ich seit einiger Zeit dem falschen Fluss…! Aber als ich dann zu meinem kleine Helfer greife, kann ich dies korrigieren und laufe wieder zurück und beschließe, da jetzt erst mal etwas häufiger drauf zu gucken. Das ist bei diesem Regen allerdings alles andere als komfortabel, weil ich das Gerät dazu jedes mal unter meinem Poncho aus der Jacke nach draußen zerren muss. Aber diese Vorbereitung stellt sich immer mehr als goldwert heraus, denn die Ausschilderung ist absolut desolat! Inzwischen habe ich zwar noch ein paar weitere Muscheln entdeckt, aber die meisten zeigen hier in die entgegengesetzte Richtung. Offenbar ist es in dieser Gegend wahrscheinlicher, dass man nach Straßburg als nach Santiago pilgert.
Leider muss ich diesen Missstand sowie das erbarmungslose Wetter bislang noch ungefrüstückt ertragen! Aber genau um das endlich ändern zu können, kommt mir eine weitere, recht umfangreiche Ehrenrunde sehr gelegen. Ich treffe auf eine Hauptstraße mit ein wenig Infrastruktur. Und nur kurz darauf entdecke ich dann auch eine Bäckerei (→ SV). Es gibt ein Baguette mit Schinken, einen Éclair sowie einen Café au lait. Wobei sowohl Café als auch lait leider nur aus löslichem Pulver entstanden sind. Egal. Er ist warm und ich habe endlich etwas im Magen! Dementsprechend moralisiert trete ich danach meinen Weiterweg an. An dieser Motivation wird allerdings weiterhin sehr gezerrt. Am Wetter und dem Wegweisermangel hat sich nach wie vor nichts gebessert. Hinzu kommt, dass es inzwischen 13:00 Uhr ist, und ich gerade mal 6 km geschafft habe! Netto! Gelaufen bin ich durch meine Irrläufe inzwischen gute 10 km.
Und als auch der Versuch, den kürzesten Weg zurück zum eigentlichen Camino zu finden kläglich scheitert, so, dass ich wieder komplett zurück zu dem Café muss, macht sich langsam etwas Frust breit. Das Laufen an der Hauptstraße trägt sein übriges dazu bei. Aber irgendwann bin ich dann endlich wieder richtig. Ab da führt die Strecke an einem entlang. Und jetzt, wo ich eh nur noch diesem Wasser folgen muss, gibt es plötzlich an fast jedem Pfeiler einen blau/gelben Aufkleber! Außerdem lässt der Regen hin und wieder mal nach. Alles wird gut!
Allerdings liegen immer noch gute 20 km vor mir, und es ist inzwischen 13:30 Uhr!
Der Weg folgt tatsächlich bis zum Schluss nur noch dem Kanal, der sich immer wieder mal malerisch über gemauerte Kaskaden ergießt. Leider öffnen sich auch die Schleusen über mir ziemlich kräftig.
Als ich endlich meinen ersten Zielort erreiche, stoße ich auch recht schnell auf das Kloster, das da hoffentlich ein Bett für mich frei hat (→ SV). Ähm, nein. Wohl eher nicht! Es hat überhaupt nicht auf! Nur an drei Tagen in der Woche. Vormittags – für allgemeine Besucher. Von einer Pilgerherberge ist mal so überhaupt nicht die Rede!
Tja, dann erkunde ich doch mal den Rest dieses sehr unscheinbaren Ortes. Nach einigen Metern entdecke ich doch tatsächlich ein Hinweisschild auf eine Gite (Unterkunft)! Was komisch ist, da in meinem Wanderführer nichts davon steht. Aber das kann sich nach 2 Jahren, die das Buch alt ist, natürlich inzwischen geändert haben. Hat es aber nicht. Jedenfalls kann ich nichts dergleichen finden. Das ist ein reiner Wohnort hier – nur eben nicht für Pilger.
Mist! Und jetzt?
Als ich auch in der Kirche niemanden antreffe, gehe ich erst mal wieder zum Kloster hinüber. Dort treffe ich auf zwei Paare um die 60. Sie gehören offensichtlich nicht zu dem Anwesen, sondern gucken sich nur die Gebäude an. Ich frage sie, ob sie Deutsch oder Englisch sprechen. Mehr oder weniger beides. Trotzdem frage ich sie zunächst auf englisch – weil es mir irgendwie höflicher vorkommt – ob sie etwas über die Pilgerherberge hier im Kloster wüssten. “Ja, die ist seit zwei Jahren geschlossen!”
Na super! Sie fragen mich, wo ich herkomme – also, aus welchem Land. “Deutschland.”
“Ja, dann können wir auch gern Deutsch sprechen!”
“Gibt es denn sonst irgendeine Chance auf eine Unterkunft hier in der Nähe? Da stand etwas von einer Gite…!?”
“Nein, nicht hier im Ort! Das nächste, was es da erst wieder gibt, ist ein anderes Kloster. Das befindet sich in Rosheim. Aber das ist weit! Wir können Sie dort gern hinfahren!”
Oh nein! Bitte nicht! Es muss doch auch eine andere Möglichkeit geben!
Ich lehne dankend ab und gucke in mein kleines Buch. Rosheim liegt genau auf meinem Weg. Nur eben gute 15 km weiter! Und es fängt schon wieder an kräftig zu regnen. Außerdem ist es schon ziemlich spät!
“Es würde Ihnen wirklich keine Umstände machen, mich dorthin zu fahren?”
“Nein, wir wollen eh gleich in die Richtung! Unser Wagen steht nur ein paar Straßen weiter.”
“Also gut.” sage ich fast so, als würde ich den Herrschaften einen Gefallen tun. Als wir bei dem neuen Mercedes angekommen sind, stellt sich heraus, dass das eine Paar hier wohnt. Dementsprechend verabschieden sich meine Wohltäter noch, und wir fahren los. Unter anderem ist natürlich auch das Wetter ein Thema. Die Beiden berichten mir, dass dies bereits seit Wochen mehr oder weniger so schlecht sei. Und es soll sich in näherer Zukunft auch nicht wesentlich ändern!
Nach einer erstaunlich langen Fahrt rollen wir direkt vor dem Eingang des Klosters in Rosheim vor (→ SV). Und da sich mich nicht einfach meinem Schicksal überlassen wollen, steigt er mit mir aus und klingelt für mich an. Es meldet sich eine Frauenstimme über die Gegensprechanlage. Darauf werden einige Worte auf Französisch gewechselt und als es im Lautsprecher final geknackt hat, lächelt mir mein Helfer freundlich zu. Kurz darauf öffnet eine Schwester die Tür und lässt mich hinein. Ich verabschiede mich dankend auf französisch – das kann ich wenigstens – und winke auch noch mal der Frau zu, die solange im Wagen sitzen geblieben ist.
Die Schwester fragt mich noch mal freundlich mit gebrochenem Deutsch: “Und sie wollen Bett und Teller!?”
“Ja! Sehr gern!”
Sie bittet mich ins Büro. Dort gibt sie mir meinen Stempel sowie einen Nummerncode für den Eingang. Als sie von mir erfährt, dass ich aus Hamburg komme, erzählt sie mir ganz erstaunt, dass ich bereits der dritte in dieser Woche sei. Wie bitte!? Und ich dachte schon, ich sei eher der erste Pilger seit Monaten!
Als sie mich wieder entlässt, informiert sie mich noch, dass es das Essen um 19:00 Uhr gibt.
Vom Preis war jetzt überhaupt gar keine Rede!? In meinem Wanderführer steht, das man hier mit 27,- € für die Halbpension dabei ist.
Na, ich lasse mich mal überraschen.
Mein Zimmer ist einfach aber sehr modern.
Ich will gerade meine Schuhe anziehen, um noch mal vor dem Essen eine kleine Runde durch den anscheinend ganz malerischen Ort zu drehen, da sehe ich, dass es sich inzwischen offenbar so richtig eingeregnet hat. Dann eben nicht!
An meinem Tisch im Essraum sitzen tatsächlich noch ein paar weitere Gäste. Aber alles keine Pilger. Zu meiner Linken warten ein junges Paar mit drei kleinen Kindern auf das Essen, und rechts von mir ein älteres Ehepaar. Der Vater spricht ein wenig englisch und zeigt sich sehr interessiert an meinem Weg. Er übersetzt alles für die älteren Herrschaften, was aber gar nicht nötig ist, da sie fast akzentfrei Deutsch sprechen.
Das Essen wird uns von einer sehr freundlichen Schwester serviert. Es gibt als Vorspeise Suppe und als Hauptgericht gekochte Wurst, die der Länge nach aufgeschnitten und mit Käse gefüllt wurde. Ummantelt ist das Ganze dann noch von gebratenem Speck und einer Art Tomatensoße. Sehr interessant und gar nicht schlecht!
Es folgt noch ein Dosenobst als Nachtisch und dann verlasse ich diese sehr gesellige Runde, die mir zum Abschied noch einen guten Weg wünscht.
Da es im Augenblick doch tatsächlich noch mal aufgehört hat zu regnen, nutze ich die Gelegenheit für einen kleinen Verdauungsspaziergang. Der Ort ist wirklich recht nett. Er verfügt über zahlreiche Fachwerkhäuser und zwei Stadttore.
Es ist ziemlich kühl. Nicht zuletzt deswegen ziehe ich mich bald wieder auf mein Zimmer zurück. Der Tag war lang genug!
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)