Camino Nordfrankreich (Tag 10)

 

Bellemagny → Héricourt


 → 42 Kilometer
↑ 146 Meter

Montag, der 23.07.2012

 

Wegweiser bei Lagrange
Wegweiser bei Lagrange

Dank eines weiteren großen Kissens, das ich als zusätzliche Decke einsetze, verbringe ich eine angenehme Nacht. Das Frühstück gibt es wieder im selben Raum wie das Abendbrot. Mit am Tisch sitzen auch wieder der junge Mann mit Rastalocken sowie der Alte. Letzterer fragt mich wieder sehr interessiert, ob ich deutsch sprechen würde. Aber anstatt dieses Déjà-vu fortzusetzen, belässt er es bei seiner sehr aufmerksamen Beobachtung meiner Person von links neben mir. Nach dem Frühstück habe ich zunächst etwas Probleme, jemanden zu finden, der für den formellen Teil meines Aufenthaltes zuständig ist. Aber irgendwann ist die Oberschwester ausgemacht, und ich entrichte bei ihr 26,- €. Sie fragt mich, ob ich denn auch schon eine Herberge für die nächste Nacht habe. „Nein.”
Daraufhin empfiehlt sie mir eine direkt in Belfort, bei der sie dann für mich anruft, aber leider niemanden erreicht. „Es gibt da auch noch eine private Unterkunft, die aber mindestens 10 km hinter Belfort liegt. Wenn das kein Problem ist, dann kann ich es auch da gern noch mal versuchen!?” Damit dürfte ich dann zwar deutlich über 30 km kommen, aber trotzdem antworte ich ihr: „Gern! Das dürfte kein Problem sein.”
Dieses Mal hat sie Erfolg und kündigt mich dort für heute Abend an.
Ich bedanke mich für alles und mache mich auf den Weg. Irgendwie fühle ich mich heute nicht so richtig fit. Mir fehlt ein wenig die Energie und ein leicht trockenes Gefühl im Hals schürt den Verdacht einer sich anbahnenden Erkältung. Zu allem Überfluss verpasse ich an irgendeiner Stelle im Wald eine Abzweigung und laufe dadurch gut 1 km in die falsche Richtung. Wie sich kurz darauf herausgestellt, ist an der Stelle, an der ich hätte abbiegen müssen, das Schild so angebracht, dass man es nur aus der entgegengesetzten Richtung sehen kann. Wie auch auf anderen Caminos kann man sich über die Anzahl der Wegweiser hier nicht beklagen – über deren Platzierung aber manchmal wirklich nur wundern! Das Wetter hingegen lässt fast keine Wünsche offen, nur der Wind ist noch etwas frisch. Die Landschaft bis Belfort ist eher unspektakulär, und der Weg verläuft über große Abschnitte an Landstraßen entlang, die aber zum Glück nicht so stark befahren sind.

Belfort
Belfort

Noch kurz bevor ich in die größte Stadt zwischen Straßburg und Le Puy eintreffe, geschieht das unglaubliche: ich treffe einen Pilger! Allerdings kommt er mir entgegen! Wie er mir erzählt, ist er von Luxemburg nach Santiago gelaufen und nun auf seinem Rückweg. Er hat eine unangenehm nervöse Art zu erzählen und lacht nach jedem seiner Sätze. Ich erfahre von ihm, dass ich der erste Pilger bin, dem er seit Le Puy begegnet ist. Kurz bevor jeder von uns wieder in seine Richtung zieht, fragt er mich noch, ob ich ihm 5,- € für Medikamente geben könne. Ich verneine dies, ohne in mein Portmonee zu gucken, da ich weiß, dass ich mein letztes Kleingeld heute Morgen im Kloster gelassen habe. Unabhängig davon finde ich es aber auch ein wenig suspekt, sich kurz nach dem Verlassen einer großen Stadt um Geld und Medikamente zu kümmern…
Für mich gilt es jetzt jedenfalls erst einmal, die vor mir liegende Stadt zu erobern. Allem voran natürlich die Touri-Info! Diese befindet sich praktischerweise am Ortseingang.
Ich interviewe die Dame, die sich mir widmet, zu den nächstgelegenen Herbergen. Sie informiert mich darüber, dass die hier in der Stadt gelegene Herberge 25,- € kostet. Ich bitte sie, in der Unterkunft, die das Kloster heute Morgen für mich ausgemacht hat, den Preis zu erfragen, bevor ich mich auf den nicht ganz unerheblichen weiteren Weg mache. Als sie den Hörer wieder aufgelegt hat, erzählt sie mir, dass es sich hierbei um eine Spendenherberge handelt. Sie verrät mir, dass man dort in der Regel 25,- € gibt, da es sich um eine Halbpension handelt.
Also auf in das letzte Drittel der heutigen Etappe! Allerdings nicht ohne die beiden Pilger angesprochen zu haben, die zwischenzeitlich an einem weiteren Schalter aufgetaucht sind. Es sind zwei Männer um die 20, die ebenfalls aus Deutschland kommen und gestern erst auf einen parallelen Camino gestartet sind. Wir brechen gemeinsam auf. Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass ich wieder einmal meinen Pilgerstab vergessen habe! Ich sage den Beiden, dass sie schon mal langsam vorlaufen mögen, ich komme dann gleich nach. Aber, sie bestehen darauf, mich zur Touri-Info zu begleiten.
Danach steuern wir den Stadtkern an, der abseits des eigentlichen Caminos liegt. Da die beiden Hunger und ich vor allem Durst habe, kehren wir vor einem Döner-Imbiss in einer Fußgängerzone ein. Sie erzählen mir, dass sie aus Köln kommen und diesen Camino für zwei Wochen bestreiten wollen. Für heute Nacht haben Sie hier in Belfort ein Hotel für 25,- € gebucht. Da Gesellschaft auf diesem Camino ja nun wirklich Seltenheitswert hat, überlege ich kurz, eventuell doch hier zu bleiben. Aber ich beschließe, weiterhin dem Ruf der Spenden-Herberge zu folgen. Zumal ich da ja nun auch bereits mehrfach angekündigt wurde. Also trennen sich unsere Wege bereits wieder, und ich strebe anschließend Richtung Camino, um über diesen durch eine Parkanlage die Stadt zu verlassen.

Buc
Buc

Inzwischen ist es bereits 16:30 Uhr und ich werde voraussichtlich noch gute 3 Stunden unterwegs sein. Da der Wind inzwischen nachgelassen hat, entfaltet die Sonne ihre volle sommerliche Wirkung! Zum Glück führt ein großer Teil des Weges durch eine bewaldete Region, was allerdings nicht wirklich für Abkühlung sorgt, weil es darin immer wieder steil bergauf geht!
Meinem Wanderführer nach zu urteilen, muss ich den Camino wieder mal verlassen, um den Ort zu erreichen, in dem sich meine Herberge befindet. Aber wie sich herausstellt, scheint sich die Streckenführung geändert zu haben, und der Weg führt mitten durch mein heutiges Etappenziel. Und als ich den Ortskern erreicht habe, ist es inzwischen 19:30 Uhr und es liegen über 40 km hinter mir! Aber das eigentliche Problem: Auf dem Zettel, den ich von der Touri-Info bekommen habe, stehen Namen und/oder französische Begriffe. Eine Adresse ist da nicht zu erkennen. Aber ich habe mich darauf verlassen, dass den Einwohnern diese handschriftlichen Notizen etwas sagen werden. Und tatsächlich weist mich die ältere Dame, der ich den Zettel zeige, in eine bestimmte Richtung. Ihre Beschreibungen dazu sind aber auf Französisch, und so komme ich nicht wirklich weit. Also spreche ich eine weitere junge Frau an, die mir mit ihrem Kind auf dem Arm entgegenkommt. Sie scheint sich nicht wirklich sicher zu sein, und bittet mich, ihr in den Kiosk zu folgen, aus dem sie gerade gekommen ist. Hier machen sich nun gleich drei Frauen über meinen Zettel her und bekommen auch relativ schnell zu einem Ergebnis. Allerdings wissen sie nicht genau, wie sie mir den Weg beschreiben sollen. Und dabei scheint die Sprachbarriere das geringste Problem zu sein!
Als mir die zuerst Angesprochene anbietet, mich mit dem Auto dorthin zu fahren, fällt mir ein, dass ich ja im Besitz einer elektronischen Karte bin. Und so können mir die drei zeigen, wo ich hin muss: ein ganzes Stück zurück!
Ich erreiche ein Einfamilienhaus und klingle an der Tür. Ein Mann um die 50 öffnet mir. Ich stelle mich kurz vor, und er weiß offenbar auch etwas mit mir anzufangen. Allerdings stellt sich heraus, dass er nicht mein Gastgeber ist. Er wechselt mit seiner Frau, die zwischenzeitlich hinzugekommen ist, ein paar Worte und greift zu einem Telefonbuch. Es folgt ein kurzes Telefonat, und dann bittet er mich, ihm zu seinem Wagen zu folgen. Wir fahren wieder exakt die Strecke zurück, die ich soeben aus dem Zentrum den Berg hoch bin. Und nur wenige Straßen vom Kiosk entfernt, kommen wir auf einem Hof zum stehen. Wir werden bereits erwartet. Er wechselt mit dem Ehepaar, an das er mich übergibt, noch einige Worte und fährt wieder von dannen.
Meine neuen Gastgeber empfangen mich sehr herzlich und fragen, ob ich vor dem Essen noch duschen möchte oder umgekehrt. Ich entscheide mich vorsichtshalber für die erste Variante.
Wieder zurück in der Küche im Erdgeschosses, werden mir zunächst als Vorspeise Schinken, Tomaten und Schafskäse serviert und als Hauptspeise gibt es Kartoffeln in einer, wie sie sagen, regionaltypischen Sahnesauce sowie kleinen Hartwurststücken. Dazu reichen sie mir Rotwein. Zum Nachtisch folgt die für Frankreich typische Käseplatte. Außerdem bieten sie mir noch Obst, Kaffee sowie diverse andere Sachen, aber ich bin wirklich voll und zufrieden.
Obwohl die beiden kein Deutsch und angeblich nur wenig Englisch können, kommen wir schnell ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass sie bereits viele Caminos gelaufen sind und nun zu dem Netzwerk gehören, das privat Pilger aufnimmt.
Als sie erfahren, dass ich aus Hamburg komme, sind sie ganz erstaunt und berichten mir, dass gerade gestern erst ein anderer Hamburger hier übernachtet hätte. Es handelt sich um einen Malte, der mir offenbar schon seit Tagen eine Etappe voraus ist.
Ich berichte Ihnen von den teilweise noch etwas fragwürdigen Wegmarkierungen. Daraufhin schnappt er sich plötzlich einen Notizblock und bittet mich, die Stelle ganz genau zu beschreiben, an der ich aufgrund der Ausschilderung falsch gelaufen bin. Denn für eben diese sind sie ebenfalls mit verantwortlich.
Danach machen sie sich daran, mir möglichst viele Tipps für den Weg zu geben – sowohl zum optimalen Streckenverlauf als auch zu weiteren Unterkünften. Letztere tragen sie aus verschiedenen Quellen zusammen, schneiden sie aus und basteln eine Art Heft daraus. Ich wundere mich ein wenig über diese Improvisation, da ich ja offenbar nicht gerade der erste Pilger bin, den sie beherbergen. Aber es bestätigt sich mal wieder, dass Spendenherbergen einfach die herzlichsten sind!
Als ich mich auf mein Zimmer zurückziehe, bin ich sehr froh, mich für diese Unterkunft entschieden zu haben. Weniger glücklich machen mich die Halsschmerzen, die sich wieder sehr deutlich bemerkbar machen…

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(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)

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