Camino via Podiensis (Tag 32)

 

Nähe Aroue → Nähe Utxiat


 → 33 Kilometer
↑ 278 Meter

Samstag, der 07.08.2010

 

bei Navarrenx
bei Navarrenx

Die Sache mit dem Draußen-Schlafen könnte noch spannend werden, denn selbst innerhalb der Herberge ist die Wolldecke zumindest an ihre Leistungsgrenze gestoßen und auch mein Schlafsack hat mal gerade so gereicht.
Zu verhältnismäßig später Stunde verlassen wir unser Domizil ungefrühstückt und sehen zu, dass wir wieder auf den Camino kommen, denn der Herbergsvater wies uns gestern darauf hin, dass man dazu nicht zurücklaufen, sondern dem Hang weiter nach unten auf die Hauptstraße folgen soll. Und in der Tat scheint sich die Gité sogar auf einer Abkürzung zu befinden.
Wir folgen dieser Straße ein Stück in die Richtung einer nahegelegenen Ortschaft. Diese ist aber offensichtlich so klein, dass es sich gar nicht erst lohnt, dort nach einer Frühstücksgelegenheit zu suchen. Und so verlassen wir noch vor dem Erreichen dieser Siedlung die Fahrbahn und betreten wieder einen rot-weiß markierten Weg. Dieser führt uns unter makellosem Wetter durch das immer spektakulärer werdende Pyrenäenvorland. Was in dieser Gegend allerdings immer weniger wird, ist die Infrastruktur. Auch in der kleinen Ansiedlung von einigen Häusern um eine Kapelle gibt es absolut keine Chance auf ein Sandwich oder einen Kaffee. Dementsprechend verzweifelt raffe ich all meinen Mut zusammen und klopfe bei einem etwas größeren Hof an die Tür. Immerhin bewegen wir uns ja auf dem Camino. Aber leider nützen all meine hand- und fußsprachlichen Fähigkeiten nichts, und wir müssen von unseren letzten Reserven zehren: Müsliriegel und Schoko-Crossaints. Trotzdem genießen wir weiter das schöne Wetter und die grandiose Landschaft und bleiben optimistisch, irgendwann schon eine Einkehr zu finden.

Entfernungsangaben
Entfernungsangaben

Und so ist es auch. Nach rund 7 km weist ein Schild auf eine Gité mit Bar in 3 km hin. Dafür müssen wir den Camino an dieser Stelle aber schon wieder etwas verlassen. Wir zögern natürlich keine Sekunde. Eine gute Entscheidung. Im Schatten eines Vordaches bestellen wir uns ein richtiges Mittagsessen (→ SV). Ich glaube, es ist das Erste, das ich je auf einem Camino hatte. Dazu gibt es Bier, danach Kuchen und Kaffee. Entsprechend träge lassen wir uns anschließend auf zwei hölzernen Liegestühlen nieder und haben es so gar nicht eilig, weiterzuziehen. Aber irgendwann brechen wir dann doch wieder auf.
Den Camino haben wir sehr schnell wiedergefunden, und so tauchen wir gut gesättigt aber etwas müde wieder in die ländliche Idylle ein.
Unser Wille, draußen zu übernachten, ist ungebrochen. Und so ist der nächste Ort mit Herberge für uns nur ein weiterer Zwischenstopp. Wir decken uns in einem kleinen Laden mit allem Nötigen ein und gesellen uns draußen zu den zahlreichen anderen Pilgern, die hier für heute Schluss machen. Wir sitzen alle an Holztischen und stärken uns. Als wir wieder aufbrechen, weisen uns einige darauf hin, dass da bis St Jean-Pied-de-Port keine Herbergen mehr kommen dürften. Wir erwidern nur lächelnd, dass wir das zwar auch vermuten, sich da aber schon etwas ergeben wird, und ziehen von dannen.
Noch am Ortsausgang werden wir mit einer kleinen Schocktherapie darauf hingewiesen, dass Kälte nicht das einzige Problem bei einer Übernachtung in der Wildnis sein kann. Von einer Mauer in nur einem Meter Abstand zischt uns plötzlich in Hüfthöhe eine grüngelbe Schlange an. In freier Wildbahn habe ich bislang noch keine in dieser Größe gesehen, und möchte sie auch definitiv nicht in meinem Schlafsack vorfinden. Zumal diese Tiere ja nicht mal Wärme spenden!

nahe Ostabat-Asme
nahe Ostabat-Asme

Wir treffen auf eine große Landstraße, die offenbar direkt nach St. Jean führt. Wir folgen dieser und kommen noch einmal in eine weitere Ortschaft. Und da sich bislang wegen einer immer dichter werdenden Besiedelung noch nichts Geeignetes zu Draußen-Schlafen hat finden lassen, beschließen wir, hier doch mal nach einem Hotel oder ähnlichem Ausschau zu halten. Aber zum einen spricht uns nichts wirklich an, und zum anderen ist nun mal heute die letzte Gelegenheit, unter freiem Himmel zu übernachten. Also kehren wir zum Camino zurück. Es ist wie verhext! Nachdem wir nun die letzten Tage nur durch menschenleere Landschaften gezogen sind, bewegen wir uns jetzt nur noch in der Nähe der Landstraße und zwischen Häusern und Höfen. Und langsam wird es dunkel. „Ok.“ sage ich zu Steffi. „Wir haben offenbar nur noch eine Chance: Wir müssen uns irgendwie bei der nächsten Möglichkeit von der Straße und damit auch vom Camino entfernen und hier irgendwie einen der Berge hinauf! Ansonsten wird das jetzt wahrscheinlich bis St. Jean so weitergehen. Und das ist noch gute 20 km entfernt…“

irgendwo 20 km vor St. Jean
irgendwo 20 km vor St. Jean

Gesagt getan. Nur kurz darauf ziehen wir einen steilen Waldweg an einem Berghang hinauf. Es scheint fast so, als wolle dieser nie enden. Doch dann erreichen wir völlig durchgeschwitzt so etwas wie eine Anhöhe. Die Zivilisation haben wir eindeutig hinter uns gelassen. Hier oben ist es wie auf einem anderen Planeten. Irgendwie unwirklich. Jetzt müssen wir nur noch einen geeigneten Platz finden. Und das ist weithin eine große Herausforderung, denn die ganze Hochebene ist überzogen von einem sehr dornigen Gestrüpp. Und da, wo mal kleine Stellen frei sind, liegen die Hinterlassenschaften von Kühen und Ziegen. Zu allem Überfluss wird es langsam so dunkel, dass wir kaum noch etwas sehen können. An eine Umkehr ist dadurch aber auch nicht mehr zu denken! Durch unsere Not und die damit stark gesunkenen Ansprüche, finden wir so etwas ähnliches wie einen Schlafplatz. Leicht schräg und mit Steinen gespickt aber wenigstens halbwegs Dorn- und Kotfrei. Wir breiten unsere Sachen aus und öffnen dann die erste von zwei extra mitgeschleppten Flaschen Wein. Vor uns liegt im restlichen Abendlicht ein weites, hügeliges Tal. Es scheint wirklich so, als wären wir hier oben in einer anderen Welt. Das einzige, was in der Ferne zu hören ist, sind die Glocken einiger Kühe. Perfekt.

Als wir bereits einige Zeit geschlafen haben, scheinen die Kuhglocken irgendwie sehr viel näher zu sein. Sehr viel näher. Ich greife nach meiner Taschenlampe und leuchte in die völlig dunkle Umgebung. Und da erstrahlen plötzlich 5 weiße Kühe im Lichtkegel. Sie sehen aus wie wiederkäuende Gespenster. Leider lassen sie sich überhaupt nicht vom Licht und meinem Gefuchtel irritieren. Steffi fühlt sich mit diesen neuen Nachbarn sichtlich unwohl. Nun gehe ich zwar davon aus, dass sie uns nicht besonders gefährlich werden können, aber man weiß ja wirklich nicht, wie gut diese Tiere bei Nacht sehen können, wo sie so hintreten. Es würde ja auch schon reichen, wenn sie sich irgendwann unbemerkt mit dem Hinterteil zu uns platzieren… Also schäle ich mich aus meinem Schlafsack und mache ein paar entschiedene Schritte auf die Herde zu, worauf hin diese sich langsam aber sicher verzieht.

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