Zumaia → Markina-Xemein
→ 34,7 Kilometer
↑ 310 Meter
Mittwoch, der 24.06.2009
Wie auch schon am Vortag ist der Anfang des heutigen Weges nicht mehr neu. Das Wetter ist weiterhin sonnig und für diese Uhrzeit auch schon beunruhigend warm.
Die nach einigen Kilometern für mein Frühstück eingeplante Bar ist leider noch geschlossen. Also ziehe ich nach eine kurzen Sonnenmilchprozedur weiter.
Erst in einer direkt an der Schnellstraße gelegen Bar bekomme ich mein Bocadillo und den Café con leche (→ SV).
Nach einigen Minuten trifft dann tatsächlich noch eine Pilgerin ein. Sie heißt Laura, ist um die 50 und kommt aus Washington. Dass ich aus Deutschland komme, erkennt sie sofort an meinem ihr schon bekannten Wanderführer.
Wir unterhalten uns eine Weile, bevor sie noch vor mir wieder aufbricht. Kurz darauf ziehen plötzlich die beiden Radpilger von gestern an mir vorbei und grüßen mich – nicht ohne zu schmunzeln. Man kommt in dieser Gegend mit dem Rad offenbar wirklich nicht gerade schneller voran, als zu Fuß.
Der Weg führt ziemlich bald wieder oberhalb der Küste entlang. Es gibt zahlreiche waldige Abschnitte. Und während es in der Sonne doch recht warm ist – manchmal schon zu sehr – wird es im Schatten doch recht kühl, besonders in Verbindung mit dem teilweise recht starken Wind.
Nach gefühlten Stunden in der Einsamkeit, neigt sich mein Wasservorrat mal wieder rapide dem Ende entgegen.
Nur kurze Zeit später führt der Camino direkt über einen einsam gelegenen Hof, auf dem ein älterer Herr gerade an seinem Auto werkelt. Ich rechne schon damit, dass ich mir von ihm einen genervten Blick einfange, weil hier andauernd „diese Pilger“ über sein Anwesen latschen, aber das, was dann von ihm kommt, ist ein Wort, das so ähnlich klingt wie „aua”. Ich brauche einen Augenblick, ehe ich verstehe: Er sagte „Agua”. Ich sage: „Si!”
Darauf hin zeigt er an mir vorbei auf eine hinter mir stehende Hecke, in der ich bei näherem Hinsehen einen Wasserhahn finde. Ich fülle begeistert meine Flasche. Manchmal ist einem der Camino doch schon fast ein wenig unheimlich.
Nur kurz darauf gilt es, einen Höhenunterschied von 550 Metern – zunächst nach oben – zu überwinden. Das klingt eigentlich gar nicht sooo spektakulär, aber leider muss man diese Höhe über eine verhältnismäßig kurze Distanz erreichen. Und so ziehe ich eine Betonpiste hoch, die sich mit ca. 45° durch den Wald schlängelt und kein Ende zu nehmen scheint.
Langsam wird mir bewusst, dass man sich hier ein Umknicken oder vor-Erschöpfung-nicht-mehr-können definitiv nicht leisten kann, denn ich habe (außer dem Mann auf seinem Hof) seit Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Das war im letzten Jahr definitiv anders!
Zum Glück passiert mir aber nichts derartiges, und ich erreiche irgendwann wieder einen waagerechten Weg. Während ich vor Entkräftung fast nur noch über meine eigenen Füße stolpere, nehme ich plötzlich einen aus dem letzten Jahr wohl vertrauten Geruch wahr. Dieser lässt mich das erste Mal wieder den Kopf heben und ich blicke in unzählige Eukalyptusbäume, die sich hier zu einem Wald formieren. Außerdem kann ich bei einem Blick nach rechts feststellen, dass 550 Meter doch nicht so wenig sind: Die umliegenden Berglandschaften liegen allesamt unter mir.
Aber was viel wichtiger ist: Es liegen auch noch gute 8, 9 Kilometer vor mir! Und es ist schon recht spät. Somit kann ich mich der Sorge nicht erwehren, kein Bett mehr zu bekommen, denn wenn ich erst einmal den noch bevorstehenden Abstieg hinter mir habe, werde ich mit Sicherheit keinen Meter mehr laufen können.
Umso segensreicher ist das, was dann kurz darauf folgt:
Ich bin gerade damit beschäftigt, mir einen wanderfähigen Stock zu suchen, weil sich vor mir wieder eine Steigung anbahnt, und werde auch fündig, da hält neben mir auf diesem menschenleeren Waldweg plötzlich ein Auto!
Der Fahrer redet irgendetwas auf Spanisch und gestikuliert ganz wild nach hinten.
Ich verstehe nur Camino und habe so den Eindruck, er möchte mir vermitteln, dass ich falsch bin.
Aber ich hatte doch gerade eben noch einen Pfeil!? Trotzdem folge ich seinen Anweisungen. Und tatsächlich: Nur wenige Meter zurück gibt es einen kleinen Abstecher rechts vom Weg ab (→ SV). Da der Spanier noch in seinem Wagen wartet und sich über den Rückspiegel vergewissert, dass ich nun richtig laufe, winke ich ihm kurz dankend zu. Er hupt, und ich folge dem nun bergab führenden Pfad.
Wer weiß wo ich ohne diese Korrektur noch gelandet wäre – und das, wo ich eh schon so am Ende bin.
Darauf nimmt die nun folgende „Talfahrt“ leider überhaupt keine Rücksicht! Es geht von nun an mindestens genauso steil bergab wie zuvor bergauf – nur, dass es sich dieses Mal um extrem ausgespülte Schotterwege handelt. Nach einiger Zeit weiß ich nicht mehr so genau, was mich mehr Kraft kostet: Das Bremsen und Gleichgewicht halten oder mein Fluchen…
Als ich dann doch irgendwann plötzlich die ersten Häuser meines Zielortes heil erreiche, kann ich mein Glück kaum fassen. Für selbiges finde ich noch weniger Worte, als sich der Mann im Kloster (→ SV) kommentarlos meines Pilgerpasses annimmt und meine Daten in sein Gästebuch schreibt.
Allerdings erfahre ich, dass das Kloster durchaus voll ist. Aber es gibt da noch so etwas wie einen Notraum, den er extra für mich aufschließt.
Dieser kann sich allerdings sehen lassen: Er ist geräumig, verfügt noch über zahlreiche Etagenbetten und ich habe ihn für mich ganz allein.
Auf meine Frage nach einem Pilgermenü hin führt er mich danach noch höchst persönlich zu einem nahegelegenen Restaurant.
Der Ober dort bietet mir diverse Gerichte an, von denen ich aber nicht eines verstehe. Also ist es an mir, ihm zu verständlich zu machen, dass er mir einfach irgendetwas zu bringen soll.
Am Nebentisch unterhalten sich einige Gäste – offenbar über mich, da ich an ihren wellenförmigen Handbewegungen eindeutig den heutigen Weg wieder erkenne. Außerdem fallen noch die Worte „Camino duro“ – harter Weg.
Anschließend drehe ich noch eine kleine Runde durch die Stadt. Mir tut alles weh! Und zwar wirklich alles. Auch meine Arme und Schultern kann ich kaum noch bewegen. Das pausenlose sich-in-den-Stock-hängen hat ihnen den Rest gegeben. Außerdem habe ich genau diesem Verhalten meine ersten Blasen zu verdanken: in der rechten Hand…!
Abgesehen davon sind 35 Kilometer ja auch nicht gerade Standard – schon gar nicht mit diesen Steigungen und Gefällen.
Nachdem ich bereits seit einiger Zeit in meinem Bett liege, kommt der Herbergsvater noch mal herein und fragt mich mit einer Mütze in der Hand, ob dies meine sei. Der Ober aus dem Restaurant hatte sie gefunden und vermutet, sie gehöre mir. Ich kann dies verneinen. Das nenne ich mal Fürsorge!
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)