San Esteban de Sebrayo → Gijón
→ 34,5 Kilometer
↑ 440 Meter
Donnerstag, der 09.07.2009
Heute sind ca. 37 Kilometer angesagt. Grund genug, in Villaviciosa, einer kleinen Stadt die gute 7 km nach meinem Start folgt, ausgiebig zu frühstücken. Bei bestem Wetter sitze ich vor einem Café in einer Fußgängerzone (→ SV) und habe vor mir 2 Bocadillos und 2 Café con leche ausgebreitet.
Eine Distanz wie die heutige hatte ich zwar bereits, allerdings war die nicht unbedingt so geplant. Heute bleibt mir von vornherein gar nichts anderes übrig. Bis Gijón, der größten Stadt auf dem Küstenweg, gibt es keine Unterkünfte. Genau genommen gibt es auch in Gijón keine! In meinem Wanderführer steht, dass zwar eine Jugendherberge existiert, die aber so weit abseits des Caminos liegt, dass er vorschlägt eine Pension in der Stadtmitte aufzusuchen. Ich bin gespannt!
Kurz hinter Villaviciosa komme ich an einem Monolithen vorbei, der gleich mit zwei Muscheln aufwartet, die in unterschiedliche Richtungen zeigen. Die eine führt weiter geradeaus nach Gijón, die andere nach links auf den ältesten aller Jakobswege: dem Camino Primitivo (→ SV). Hier wird also ein großer Teil derer, die ich in den vergangenen Tagen so getroffen habe den Küstenweg verlassen – bzw. hat es bereits.
Ich kann mir gut vorstellen, dass auch ich eines Tages diesen Weg einschlagen werde – heute aber noch nicht.
Die Etappe heute ist nicht nur relativ lang, sondern auch hin und wieder auch ziemlich hoch! Aber nicht nur die Steigungen machen mir zu schaffen, auch die Sonne, die ungehindert und damit sehr wirkungsvoll meine Kletterpartien beobachtet trägt ihren Teil dazu bei. Außerdem neigt sich der Wasservorrat seinem Ende entgegen. Als ich endlich den höchsten Punkt erreicht habe, folgt eine weitere kleine, bereits im Buch beschriebene Schikane: Es gibt hier einen weiteren Wanderweg der origineller Weise ebenfalls durch gelbe Pfeile gekennzeichnet ist. Zum Glück ist diese Strecke gegenläufig und bleibt damit als „falsch“ identifizierbar.
Dank der Höhe, in der ich mich zurzeit bewege, kann ich bereits mein heutiges Ziel in weiter Ferne sehen. Aber ich weiß inzwischen, dass Städte in Sichtweite trotzdem noch einige Stunden entfernt sein können.
Nachdem ich diesen 450er Berg überwunden habe, darf ich gleich wieder auf gute 300 Meter rauf. In einem kleinen Ort im Tal zwischen diesen Bergen gibt es eine Bar. Davor sitzen einige Pilger von denen ich bereits aus einiger Entfernung Alfred erkenne. Die andern drei sind eine Familie mit einer ca. 8-10 jährigen Tochter. Ich frage, wie sie sich so macht. Die Eltern erklären mir, dass sie mit dem Zelt unterwegs sind und somit kleine Etappen machen. Und da sie eine begeistere Schwimmerin ist, macht ihr der Küstenweg wohl sehr viel Spaß. Wir haben alle Gijón als Ziel. Trotzdem brechen wir alle zeitversetzt auf. Da ich als dringend notwendige Stärkung sehr mächtige Patatas Alioli gewählt habe, verspiele ich mir endgültig jegliche Lizenzen auf eine Gemeinschaftsunterkunft und breche als Letzter auf.
Es stellt sich als absolut bescheuerte Idee heraus, sich vor einem zu erklimmenden Berg den Magen mit in Mayonnaise getränkten Kartoffeln vollzuschlagen, die so massig waren, dass ich sie nicht mal geschafft habe. Mein Kreislauf zieht mich fast mehr runter als die Erdanziehungskraft. Trotzdem hole ich relativ schnell die Familie ein. Zunächst überhole ich nur Mutter und Kind und einige Zeit später komme ich auch an dem auf einer Bank wartenden Vater vorbei.
Wie bei jeder größeren Stadt betritt man recht frühzeitig deren Randgebiete, ist aber vom eigentlichen Zentrum immer noch ein ganzes Ende entfernt. Und so ziehe ich unter der weiterhin sehr wirkungsvollen Sonne vorbei an der imposanten Universität. Dann geht es an einer ansonsten unattraktiven und schnurgeraden Ausfallstraße weiter in Richtung Stadtkern. Dies erinnert mich doch sehr stark an die Ankunft in Burgos im Vorjahr. Als die Häuser dichter werden, entdecke ich etwas, bei dem ich allerdings eher an Lión denken muss: im Boden verankerte Muscheln aus Messing, die den weiteren Verlauf des Caminos durch die Stadt weisen. Ich bin total begeistert von dieser bereits lieb gewonnenen Hilfe, so dass ich den Zeichen wie hypnotisiert folge. Aber irgendwann stelle ich fest, dass der Camino offenbar nicht mehr an der Wasserseite der Stadt verläuft. Da sich aber dort die empfohlene Pension befindet, muss ich den Pfad der Muscheln leider verlassen, und steuere in die Richtung, in der ich mein heutiges Ziel vermute.
Und tatsächlich komme ich genau dort an die Promenade, wo es das Haus aufzusuchen gilt, in dem ich hoffentlich für angeblich nur 12,- € ein Bett bekomme.
Ich finde den Eingang in einer Parallelstraße. Es gibt nichts, das auf eine Pension oder gar ein Hotel hinweist (→ SV (hier inzwischen mit Pensionsschild)). Aber die in meinem Buch beschriebene Klingel existiert. Ich drücke sie und kurz darauf scheppert etwas aus der Gegensprechanlage. Ich fasele nur etwas von Pilger und Bett, und es folgt ein rasselnder Summton aus dem Türschloss. Im 1. Stock dieses Altbaus steht ein älterer Mann in der Tür, der mich auf Spanisch fragt, ob ich allein wäre. Ich bestätige dies. Das scheint nicht unbedingt das zu sein, was er hören will, und er gibt mir zu verstehen, dass er zwar noch ein Doppelzimmer hätte, ich aber bitte gegen 19:30 Uhr wiederkommen möge. Letzteres schreibt er mir als Zahl auf einen Zettel. Den Grund dafür habe ich nicht so ganz verstanden. Entweder meinte er, er würde lieber an zwei Leute vermieten oder das Zimmer ist bis 19:30 Uhr für zwei andere Pilger reserviert.
Er bietet mir an, dass ich solange meinen Rucksack bei ihm deponieren könne. Da ich davon ausgehe, dass niemand scharf ist auf ein paar Pilgerklamotten, nehme ich das Angebot an und suche ein Café an der Promenade auf. Spannend! Immerhin wächst meine Chance eine andere Unterkunft zu finden nicht gerade mit der Zeit.
Also stehe ich keine Minute zu spät wieder an seiner Tür und: Er bittet mich hinein und zwar nicht, um mir meinen Rucksack wieder zu geben, sondern er geleitet mich durch einen langen, dunklen Flur in eines der offenbar recht zahlreichen Zimmer. Er erzählt mir, dass sehr viele Deutsche Pilger kommen würden. Oh Wunder, es gibt ja auch fast nur diesen Wanderführer in Deutschland. Als ich ihm das Buch zeige, scheint er bereits Bescheid zu wissen.
Das Zimmer ist…, äh…, es hat ein Dach und ist darüber hinaus auch meins. Ansonsten sehe ich sehr schnell, dass ich nicht so genau hinsehen sollte… Auf der kleinen Kommode liegt noch etwas Zigarettenasche, und auch sonst nehme ich mal an, dass man wohl für 12,- € nicht zu viel Hygiene erwarten sollte.
Apropos: Den aktuellen Preis habe ich noch gar nicht erfahren, aber nun habe ich eh keine Wahl mehr.
Offenbar scheint es in dieser wohnungsähnlichen Pension nicht nur viele Zimmer, sondern auch mehrere Bäder zu geben. Diese muten eher privat an und wirken ebenfalls etwas „in die Jahre gekommen“.
Ich dusche und ziehe anschließend durch die Stadt. Das Timing hierfür könnte nicht besser sein, denn ich erwische den Jachthafen genau bei einem sehr reizvollen Sonnenuntergang. Außerdem treffe ich hier auf Albert, der zu so später Stunde nur auf der Durchreise ist. Er hatte eine ganze Weile in einem Internetcafé verbracht und will nun mit seinem Zelt noch hinter die Stadt kommen. Das kann noch eine Weile dauern.
Meine anschließende Suche nach einem Supermarkt muss ich leider ergebnislos abbrechen. Und da mir hier selbst McDonalds zu teuer ist, organisiere ich mir in einer kleinen Bar ein weiteres Bocadillo und eine Dose Bier, und mache es mir dann noch gegen 22:00 Uhr auf meinem Zimmer, äh, „gemütlich“.
Aufgrund der Gegebenheiten hole ich meinen Schlafsack heraus, um diesen als Schutz vor den Dingen zu nehmen, die da eventuell im Bett lauern. Die meisten Herbergen waren mir heimlicher. Aber was soll’s – ich habe ein Bett, und es ist auch hier wieder nur für eine Nacht.
Ich erfreue mich noch kurz an den beiden Plastik-Rosen auf dem alten Kleiderschrank, versuche die dicke Staubschicht auf meinem Nachttisch zu übersehen und mach mich ans Schlafen.
So richtig will mir das aber nicht gelingen, da ich das Fenster aufgrund des starken Straßenverkehrs geschlossen halten muss, und es ist stickig und warm!
Als ich aber irgendwann doch kurz eingeschlafen bin und aus Versehen außerhalb meines Schlafsackes wieder aufwache, stelle ich fest, dass das Kopfkissen nach Waschmittel riecht. Also lasse ich meine Hemmungen fallen und wechsele in die ja doch etwas luftigere Bettwäsche.
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)