Boadilla del Camino → Carrión de los Condes
→ 25,5 Kilometer
↑ 58 Meter
Donnerstag, 15.05.2008
Irgendwer raschelt, wühlt und redet ohne Nachlass. Als ich auf die Uhr gucke, stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass es bereits 7:30 Uhr ist. Trotzdem kein Grund, so gnadenlos für Unruhe zu sorgen, zumal der Rest noch zu schlafen scheint. Damit dürfte es aber beim ca. 7maligen Klingeln eines Handys und dem darauf folgenden, ungedämpften Telefonat spätestens vorbei sein.
Als ich mich aus meinem Bett schäle und zur Toilette tappe, sehe ich, dass diese gesamte akustische Inszenierung von nur einer Person ausgeht: einem älteren Herrn um die 70. Alle anderen scheinen immer noch zu schlafen. Unglaublich! Beides.
Wo ich schon mal hoch bin, beschließe ich aufzubrechen.
Zum Glück verlasse ich gerade erst den Ort, als mir auffällt, dass ich meinen Pilgerstab in der Herberge zurückgelassen habe!
Als ich wieder bei der Unterkunft ankomme, ist das Tor verschlossen. Also warte ich. Immerhin bin ich als Erster gestartet. Somit müssen noch alle da sein, und es kann ja nicht so lange dauern, bis der nächste Pilger rauskommt. Denke ich…
Dass mir das aber auch ausgerechnet bei der Herberge passieren muss, bei der sich ein Tor hinter einem schließt, die von drei Meter hohen Mauern umgeben ist, bei der der Hausherr sich sonstwo befindet und ausnahmslos alle Gäste wie Blei in den Betten liegen. Nach einer Stunde habe ich inzwischen ein kleines Frühstück zu mir genommen und beschließe, die angeordnete Ruhe zu unterbrechen.
Ich laufe um den Komplex herum und muss eine leere Wasserflasche nehmen, um an das recht hochgelegene Schlafraumfenster klopfen zu könenn. Es dauert sehr lange, bis sich etwas tut und erstaunlicherweise noch viel länger, ehe der von mir geweckte und noch etwas begriffsstutzige Pilger vorn am Tor erscheint.
Um 10:15 Uhr kann ich dann endlich weiter ziehen.
Der Himmel ist, nett formuliert: lebendig. Alles ist möglich. Den Temperaturen kann man leider nichts Positives abgewinnen. Gut, für die Kondition mag das von Vorteil sein, aber da sorgt der recht starke Gegenwind für einen entsprechenden Ausgleich. Trotzdem scheint sich meine Erkältung weiterhin nicht so richtig durchsetzen zu können. Sie klingt sogar eher etwas ab.
Da ich heute wieder allein unterwegs bin, versuche ich mal, das zu tun, was man hier ja üblicherweise so auf dem Programm hat: mit ein wenig Abstand über das eine oder andere nachzudenken. Aber die Tatsache, dass man zwar – rein geografisch gesehen – aus der eigenen Welt raus ist, ändert absolut nichts daran, dass man immer noch in derselben Haut steckt und die gleichen Sichtweisen und Erkenntnisse hat, wie zuhause auch – so es denn welche gibt.
Also bin ich sehr schnell wieder im Hier-und-jetzt und stellte fest, dass es inzwischen wieder regnet und mir die Leute und die Sonne, vom am Anfang der Reise, fehlen. Also kurz gesagt: die Wärme in jeder Beziehung.
Der Weg ist heute eher unspektakulär. Irgendwann kommt dann endlich mein heutiger Zielort in Sichtweite – zeitgleich mit einer außergewöhnlich schwarzen Wolke von rechts. Beide näheren sich mir scheinbar gleichmäßig. Aber kurz vorm Erreichen der kleinen Stadt, gewinnt dann doch die Wolkenfront, und ich begebe mich abermals komplett durchtränkt auf Bettensuche.
Resignierend, fast gleichgültig, verlasse ich die erste übervolle Herberge wieder und stelle fest, dass die zweite, recht große, verschlossen zu sein scheint (!?). Also mache ich mich auf die Suche nach einem Hostal.
Vor einem Geschäft treffe ich zwei italienische Pilgerinnen, die mich, auf meine Anfrage, zu einem Nonnenkloster führen (→ SV), in dem es doch tatsächlich noch Schlafgelegenheiten gibt. Nachdem ich mich bei den Beiden bedankt habe, verlassen sie mich wieder. Sie reisen heute von hier ab.
Der Schlafraum ist als erster mit Einzelbetten ausgestattet.
Mit meinem Bettnachbarn Willi, einem Mann um die Mitte/Ende 50, suche ich einen kleinen Laden auf, um erst mal die nötigsten Utensilien zu kaufen. Danach beschließen wir, in einer Bar gemeinsam das Pilgermenü zu uns zu nehmen. Wir sitzen schon eine ganze Weile dort, da gesellt sich plötzlich Anette mit ihrer neuen Bekannten, Brigitte, zu uns an den Tisch.
Vor dem Schlafengehen genieße ich noch eine dringend nötige heiße Dusche, bevor ich meinen Platz beim allnächtlichen Konzert der besonderen Art einnehme.
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)