Camino Francés (Tag 36)

 

Olveiroa → Cap Finisterre


 → 31,1 Kilometer
↑ 340 Meter

Donnerstag, 05.06.2008

 

Weggabel Finisterre/Muxia
Weggabel Finisterre/Muxia

Grundsätzlich bevorzuge ich ja eher feste Untergründe zum Schlafen. Aber auf so einem Küchenboden, der lediglich durch eine Isomatte entschärft wird, verbringt man die Nacht dann doch nur in einem recht unbequemen Halbschlaf. Dementsprechend gerädert breche ich gegen 7:30 Uhr auf. Fabienne ist schon längst unterwegs. Als ich mich auf den Weg mache, wuseln nur noch Richard und Celia in der Küche herum. Das Wetter ist durchwachsen und macht einen eher feuchten Eindruck.
Gleich nach dem Verlassen des kleinen Ortes erreiche ich eine Wegkreuzung, die offenbar gerade ausgebessert wird. Aus diesem Grunde steht der steinerne Wegweiser dort lose und leicht verdreht, und ich weiß nun nicht, ob er in dieser Form noch die Wahrheit sagt.
Da ich aber eh keine andere Wahl habe, als ihm zu vertrauen, folge ich seiner Richtungsangabe. Wie sich schnell herausstellt, wurde er tatsächlich gewissenhafter platziert, als es den Anschein hatte.
Kurze Zeit später passiere ich einen schmalen am Hang gelegenen Pfad. Zu meiner linken zieht sich im Tal ein größeres Gewässer entlang, und unter mir säumen immer wieder sonderbar grüne Steine den Weg. Ich schaue sie mir genauer an. Sie wirken wie kleine Feuersteine, nur, dass sie in verschiedenen Grüntönen schimmern. Teilweise werden sie auch von türkisenen und blauen Schichten durchzogen. Da kommt mir die Idee, mich auf die Suche nach zwei kleinen, möglichst gleichen Steinen zu machen. Sollte ich noch die Gelegenheit dazu bekommen, werde ich in Finisterre Fabienne einen davon zum Abschied schenken. Also starte ich eine kleine geologische Doktorarbeit. Es zieht so manch anderer Pilger an mir vorbei (ich wusste gar nicht, dass da noch so viele nach mir unterwegs sind!?). Auch sie zeigen sich ganz angetan von diesen Mineralien. Einer von ihnen ist „mein Berliner“. Er ist sich ziemlich sicher, dass es sich um eine Glasart handeln muss.
Als ich endlich zwei „Gläser“ in den Händen halte, die ihrer Mission würdig sind, ziehe ich weiter.
Nur kurze Zeit später treffe ich an der Bar ein, die mal wieder mein Frühstück bereithält (→ SV). Als ich den Raum betrete, sitzen da bereits wieder der Berliner und sein Begleiter – und Fabienne.
Der Berliner fragt mich, ob ich mit meinen Steinen fündig geworden wäre. In der der Hoffnung, dass er und vor allem Fabienne nicht weiter darauf eingehen, gebe ich nur ein kurzes „Ja“ von mir.
Nach einem gemeinsamen Aufbruch ziehe ich einige Zeit später wieder nach vorne weg, da Fabienne von einer ziemlich heftigen Blase ausgebremst wird.
Zuvor haben wir uns in Finisterre für eine offizielle Verabschiedung vom Camino und voneinander verabredet.
Wie sich allerdings später herausstellt, war das überhaupt nicht nötig, denn es dauert gar nicht so lange, da holt Fabienne mich wieder ein, und wir bestreiten den restlichen Weg nach Finisterre gemeinsam.
Nur kurz darauf, zeichnet sich am Horizont etwas ab, das in diesem Augenblick weit eindrucksvoller ist, als der Anblick von Santiago: Zwischen den weitläufigen Bergen schimmert das Blau eines Gewässers durch, das offenbar größer ist als ein Fluss oder ein Stausee. Wir blicken tatsächlich das erste Mal nach Wochen die von Bergen, Städten und Landschaften wie der Meseta geprägt waren, aufs offene Meer! Vor uns liegt in nicht all zu großer Ferne der Atlantik. Und nur wenige Minuten später kommt auch unser endgültiges Ziel in Sichtweite: Das Cap Finisterre. Das „Ende der Welt“!
Aber bis dahin liegen noch einige Kilometer, ein amtlicher Abstieg, und die kleine Hafenstadt Cee vor uns. Hier legen wir erst mal eine kleine Pause auf einer Bank mit Blick aufs Wasser ein (→ SV).

Von da gilt es nun noch zwei, drei weitere Buchten hinter sich zu lassen (in einer kehren wir auch noch mal ein) und dann liegt er plötzlich vor uns: der langgezogene weiße und menschenleere Strand von Finisterre (→ SV).

Wir überlegen für einige Sekunden, ob wir hier, ganz pilgerkonform, kurz ins Wasser springen wollen. Wenige Minuten später schwimme ich in den gar nicht so kalten, aber sehr erfrischenden Fluten des Atlantiks. Als ich wieder herauskomme, übernehme ich die Klamottenwache und Fabienne begibt sich ins kühle Nass.

Angekommen
Angekommen

Danach ziehen wir sehr belebt bei bestem Sommerwetter am und im Wasser weiter in Richtung Ziel.
Währenddessen sind wir so mit dem Suchen von Muscheln beschäftigt, dass wir gar nicht bemerken, dass Frank plötzlich hinter uns steht. Dieser ist eigentlich aus gesundheitlichen Gründen etappenmäßig zurückgefallen und wollte zunächst auch nicht mehr nach Finisterre laufen. Umso größer ist die Freude des Wiedersehens. Vor allem bei Fabienne. War sie doch mit ihm fast den gesamten Camino gemeinsam unterwegs und glaubte schon, sich nicht mehr von ihm verabschieden zu können.
Wir gehen gemeinsam nur wenige Schritte weiter, da folgt schon das nächste „Hallo“: Brigitte lag da bis eben noch im Sand und sonnte sich, bis sie uns kommen hörte.
Da sie hier noch ein wenig liegen bleiben will, verabreden wir uns alle für den Abend oben am Cap beim Leuchtturm.
So ergibt es sich also, dass ich mit Fabienne und Frank das nun wirklich endgültige Ziel dieses Caminos erreiche. Ich spiele zwar noch mit dem Gedanken, auch noch nach Muxía zu laufen, aber das wäre dann eher soetwas wie ein Ausflug. Finisterre ist für mich nun das offizielle Ende dieser Reise. Und tatsächlich spüre ich bei dieser Ankunft irgendwie eine größere Euphorie als bei der in Santiago. Dazu tragen mit Sicherheit auch das Wetter, das Meer und die Begleitung ihr Übriges bei.
Es stellt erstaunlicherweise überhaupt kein Problem dar, in der einzigen und relativ kleinen Herberge (→ SV) noch drei Betten zu bekommen. Außerdem wird uns auch hier noch mal eine Art Compostela für das Erreichen Finisterres ausgestellt.
Richard und Celia scheinen hier ebenfalls untergekommen zu sein, und wir verabreden uns auch mit ihnen um 19:30 Uhr fürs Cap.
Fabienne und ich teilen uns eine Waschmaschine in der Herberge, dann dreht jeder für sich erst mal eine Runde durch diese nette, kleine Hafenstadt. Da wir alle beschlossen haben, dass jeder etwas zu essen und zu trinken mitbringt, gilt es, auch noch mal kurz einzukaufen, was ich wieder mit Fabienne gemeinsam mache.
Dann versammeln wir uns zur verabredeten Zeit vor der Herberge, und begeben uns, beladen mit unseren Einkaufstüten, hinauf zum Cap.

Weggabel Finisterre/Muxia
Weggabel Finisterre/Muxia

Oben angekommen, breiten wir unsere Utensilien auf einem großen Stein aus (→ SV). Danach verteilen wir uns alle, beinahe wortlos, auf den Felsen und blicken hinaus aufs weite Meer. Die schon recht tief stehende Sonne bricht ihre Strahlen durch die Wolken und projiziert Lichtreflexe auf den Atlantik.
Wir stehen oder sitzen alle einfach nur da und genießen diesen Ausblick und die Stille. Jeder macht nun seinen Abschluss mit dem Weg. Jeder erinnert sich an seine ganz persönlichen Erlebnisse: an die Höhen und die Tiefen der letzten Wochen.
Ich bin mir weiterhin sicher, dass die Zeit, die hier und jetzt ihr Ende findet, mit Sicherheit zu der wohl schönsten und vor allem intensivsten meines bisherigen Lebens gehören wird.
Da ich auf meinem Felsen etwas abseits sitze und aufs Meer hinausschaue, besteht heute keine Gefahr, dass ich gleich wieder drei, vier Leute um mich herum haben werde, die sich meiner annehmen wollen. Ich bin für einen Augenblick ganz für mich allein. Dann stehe ich auf, hole meinen kleinen Stein, der ursprünglich für das Cruz de Ferro gedacht war, aus meiner Tasche und werfe ihn im hohen Bogen über die Klippen ins Meer. Dies ist nun ein würdiger Ort und Zeitpunkt dafür.
Danach drehe ich mich um und klettere zu den anderen auf den Felsen zurück, und wir verbringen einen wunderbaren Abend zusammen mit Wein, Essen und Musik. Außerdem verbrennt fast jeder, weil es so Brauch ist, etwas von seinen Klamotten. Nur ich nicht, denn ich habe fast nix mehr… Und das, was ich noch besitze, brauche ich noch.

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Als es irgendwann ganz plötzlich ziemlich windig und frisch wird, beschließen wir, diesen tollen Abend zu beenden und machen uns auf den Heimweg.
Brigitte ist übrigens bis zum Schluss nicht mehr aufgetaucht.
Zum Glück ergibt es sich, dass Fabienne und ich im relativ großen Abstand zu den anderen laufen. Also die Gelegenheit, sich in aller Ruhe von ihr zu verabschieden, denn morgen Vormittag muss sie bereits einen Bus zurück nach Santiago nehmen, und da wird es dann wahrscheinlich eher etwas hektischer zugehen.
Ich erzähle ihr, dass ich nur wenig Menschen in meinem Leben kennengelernt habe, mit denen ich mich auf Anhieb so wohl gefühlt habe.
Dann gebe ich ihr einen der beiden Glassteine vom Morgen und zeige ihr, dass ich einen sehr ähnlichen habe. Diese sollen uns einfach immer an den jeweils anderen erinnern.
Anschließend nehme ich sie in die Arme und drückte sie ganz fest.

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