Arzúa → O Pedrouzo
→ 18,9 Kilometer
↑ 99 Meter
Samstag, der 25.07.2009
Es ist gerade mal 7:30 Uhr, als ich aufstehe und zusehe, dass ich die Herberge allein verlasse. Ich möchte noch mal die Gelegenheit nutzen und einen Tag für mich laufen. Verabschieden ist nicht nötig, da wir alle in O Pedrouzo verabredet sind. Und so starte ich vor allen anderen in einen offenbar sehr schönen Morgen. Die Sonne steht noch tief am Himmel und arbeitet sich so langsam durch den Morgennebel. Noch in Arzúa suche ich ein Café auf und beschreite dann den Weg, den ich vor ziemlich genau einem Jahr das erste Mal lief.
Es ist nicht zu übersehen, dass ich mich von nun an wieder auf dem populären Camino befinde. Von nun an ist immer wenigstens ein Pilger zumindest in Sichtweite. Trotzdem herrscht eine angenehm melancholische Stimmung, da der lichtdurchflutete Nebel die Landschaft in eine beinahe mystische Kulisse verwandelt. Und ich merke, dass es eine wirklich gute Idee war, noch einmal allein zu laufen. Was ich aber auch feststelle: Ich muss diese Strecke im letzten Jahr im Trance der bevorstehenden Ankunft absolviert haben. Während ich sicher bin, den gesamten Camino Francés sehr gut in Erinnerung zu haben, erkenne ich von dieser Strecke so gut wie nichts wieder. Als wäre ich nie hier gewesen. Aber fast noch phänomenaler ist, dass ich immer wieder glaube aus der Ferne alte Bekannte aus dem letzten Jahr zu erkennen, so, als wäre man mit ihnen immer noch auf diesem Weg.
Das buchstäbliche Hinter-sich-lassen aller Bekanntschaften an diesem Morgen hat irgendwie eine befreiende Wirkung, die mich sogar kurz zu dem Gedankenspiel verleitet, einfach bis nach Santiago durchzulaufen und damit alle Geschichten ohne große Verabschiedungen sang und klanglos zu beenden.
Bei einem Griff in mein Gesicht stelle ich fest, dass meine nicht mehr so ganz frisch rasierte Mundpartie voller Morgentau hängt.
Der Weg ist wirklich ein anderer! Letztes Jahr gab es zum Beispiel noch keine Werbeaufsteller mitten in der Pampa, die einen durch einen Bewegungsmelder aktiviert, lautstark auf eine Herberge im Nächsten Ort hinweisen!
Wohl vertraut ist mir der unspektakuläre Verlauf dieser Etappe. Und so komme ich auch heute ohne besondere Vorkommnisse bereits gegen Mittag bei der städtischen Herberge von O Pedrouzo an (→ SV).
Aber trotz der frühen Uhrzeit, haben sich schon einige Pilger vor dem noch verschlossenen Gebäude versammelt. Eine Frau weist mich darauf hin, dass es am besten ist, wenn ich meinen Rucksack gleich an die anderen bereits in einer Reihe stehenden anlehne. Auf diese Weise wird die Eincheckreihenfolge gesichert. Willkommen auf dem Camino Francés!
Was man auf dem Küstenweg ebenfalls nicht erlebt: Man bekommt dort seinen Schlafsaal nicht zugewiesen. Aber damit nicht genug! Als ich mir gerade ein Bett ausgesucht und mich darauf häuslich niedergelassen habe, weist mich plötzlich eine Pilgerin darauf hin, dass es sich bei meinem Bett um das mit der Nummer 35 handeln würde. Ich drehe mich um und sehe das Nummernschild, das die Richtigkeit ihrer Aussage bestätigt. Ich bin fast geneigt, sie für ihre korrekte Erkenntnis zu loben, ahne aber natürlich, dass sie meint, es stünde ihr zu. Und auch da hat sie Recht: Auf der Rückseite des Zettels, den man in jeder staatlichen Herberge bekommt, steht eine handgeschriebene Nummer. Das muss einem ja jemand sagen. Naja, hat sie ja nun. Allerdings hätte ich an ihrer Stelle einfach kurzerhand nach der Nummer meines Bettes gefragt, da dieses nun wirklich keinen Unterschied zu dem mir zustehenden macht. Aber nun raffe ich halt meine Sachen alle wieder zusammen und ziehe ein paar Meter weiter zur Nummer 19.
Eigentlich müsste dieser Camino langsam mal von Francés in Alemán umgetauft werden…!
Direkt danach suche ich die Bar auf, die mir auch schon im letzten Jahr einen Hamburger gab (→ SV). Dazu bestelle ich mir ein Bier und setze mich nach draußen. Am Nachbartisch sitzen ein Italiener, ein Spanier und ein Amerikaner. Letzter fragt mich, ob ich mich nicht zu ihnen setzen wolle. Gefragt, getan. Es dauert nicht lange, da kreuzen auch Simona, Leo und Tomasz auf und gesellen sich dazu.
Irgendwann beenden wir diese nette Gesprächsrunde. Leo und Tomasz begeben sich wieder in Richtung Herberge und Simona und ich suchen ein Internetcafé auf, wo ich meine letzte Mail dieser Reise aufsetze.
Als wir beide auch wieder in unserer Basis ankommen, hat Tomasz noch etwas vom selbst gekochten Essen für uns übriggelassen. Während wir dies in der Herbergsküche zu uns nehmen, bekommt Simona eine Info-SMS, dass die von ihr an Sara zuvor verschickte Nachricht den Empfänger nicht erreicht hat. Tja, dann hat sie ihr Handy wahrscheinlich aus, und es soll nicht mehr sein. Dann haben wir uns vorgestern Morgen vor der Bar wohl wirklich das letzte Mal gesehen.
Wir verbringen den Rest des Abends vor der Herberge. Für Leo und Tomasz ist es inzwischen beschlossene Sache: Sie wollen gegen 2:00 Uhr heute Nacht nach Santiago aufbrechen. Und auch Simona und Marc lassen sich dazu überreden. Nur ich kann mich nicht wirklich damit anfreunden. Natürlich hat die Idee auch ihren Reiz. Aber allein schon die Illusion, dass man dann Santiago im Sonnenaufgang erreichen würde, ist doch totaler Quatsch! Die werden so gegen 5:00 oder 6:00 Uhr bereits in der Stadt sein, und dann wird es bestenfalls gerade mal dämmern. Aber sie lassen nicht locker und wollen auch mich zu diesem Vorhaben überreden. Um sie ruhig zu stellen schlage ich vor, meinen Wecker auf 4:00 Uhr zu stellen (natürlich ganz leise), denn diese Zeit halte ich für eine gelungene Morgenstimmung für geeigneter. Und sollte ich zufällig gegen 2:00 wach sein, würde ich mich ihnen anschließen.
(über die Sitemap lassen sich die Tage gezielt aufrufen)